Für Jurek, der mich lehrte, was Freundschaft und Vertrauen bedeuten.
Für Archas, der mir die Magie Awarnors zeigte.
Für Inara, deren Flamme uns in dunklen Zeiten ein Leuchtfeuer sein soll.
Als meine Geschwister und ich nach Ronramar kamen und von den dort lebenden Wesen zu Göttern erhoben wurden, hätte ich niemals geahnt, wohin diese Geschichte führen würde. Viele Jahre verbrachte ich damit, Wissen zu erlangen und zu sammeln und es betrübt mich, dass vieles davon durch den Krieg, in den unsere Welt geraten ist, unwiederbringlich verloren ist. Doch ich denke, ich wäre nicht Madras, wenn ich mich davon entmutigen lassen würde, dass besonders durch meinen Bruder Arsai vieles, was ich verfasst habe, vernichtet wurde. Vielmehr sehe ich diesen Umstand als eine gute Gelegenheit, Vergangenes aufzuarbeiten, und so unternehme ich hier einen Versuch, meine Texte zu rekonstruieren.
Einiges, was ich verloren glaubte, wurde während unseres Aufenthaltes in Ronramar von den Menschen gefunden, und ich bin zuversichtlich, dass ich so die Geschichte Ronramars, der neun Clans und des Krieges erzählen kann. Dabei sollte der geneigte Leser aber nicht vergessen, dass die Wahrheit häufig ein Ding ist, das viele Facetten hat, und sich verändert, wenn man selbst seine Sichtweise ändert. Auch ich bin weit davon entfernt, unfehlbar zu sein, und andere Leute mögen diese Geschichte anders erzählen.
Mit diesem Werk möchte ich jedem, der es liest, die Möglichkeit geben, sein Wissen zu mehren, ohne selber eine Reise unternehmen zu müssen, wie ich es tat und immer noch tue. Ich möchte, dass die Bewohner Awarnors erfahren, wie es zu den unglücklichen Ereignissen der letzten Jahre kommen konnte, ich möchte, dass sie sehen, wie viele Rückschläge wir auf unserem Weg hinnehmen mussten und dass uns doch nichts aufhalten konnte, weil wir niemals die Hoffnung aufgegeben haben.
Und ich möchte, nein, ich will verhindern, dass Ereignisse in Vergessenheit geraten, dass Menschen in Vergessenheit geraten, die dies nicht verdient haben.
Diese zweite Fassung der Geschichte Ronramars, der neun Clans, ihrer Götter und des Krieges soll Jurek, Archas und Inara gewidmet sein, die ihr Leben dafür gaben, dass wieder Frieden in Awarnor einkehrt. Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot, und ich wünsche mir, dass diese drei niemals wirklich sterben werden.
Beginnen möchte ich an derselben Stelle, an der ich bereits mein erstes Buch begonnen habe: Bei den neun Clans Ronramars und ihren Göttern.
Dieser Clan trägt seinen Namen aufgrund der roten Kappen, die seine Mitglieder tragen und die mit Blut gefärbt sind. Je mehr Blut eine Rotkappe auf ihrer Kappe hat, desto mächtiger wird sie. Allerdings muss es freiwillig gegebenes Blut sein, wobei "freiwillig" für die Rotkappen ein sehr dehnbarer Begriff ist. Die Rotkappen mögen Scherze, die anderen meist zu weit gehen. Sie lieben Lärm und Radau, werfen gern Dinge durch die Gegend und machen die ganze Nacht schiefe Musik. Ihre Feiern sind für gewöhnlich sehr ausgelassen und wirken für Außenstehende häufig eher wie Schlägereien. Rotkappen stehen zusammen, sie haben einen sehr ausgeprägten Gemeinschaftssinn und treten eigentlich nie allein auf. Die Rotkappen lebten vor dem Zerbrechen Ronramars hauptsächlich im Schwarzen Wald. Sie verstehen sich gut mit den Dibbuk, obwohl der Blutdurst beider Clans von sehr unterschiedlicher Art ist.
Als der Krieg begann und Blaukappe von Arsai erschlagen wurde, schlossen sich die Rotkappen zuerst der Hexenkönigin an, nachdem diese allerdings dafür sorgte, dass Blaukappe endgültig vernichtet wurde, lösten sie sich wieder von ihr und zogen sich aus den Kämpfen, die noch immer zwischen den Clans wüten, zurück.
Mein Bruder Blaukappe fand rasch Gefallen an diesem Clan, ihm gefiel es, eine Gefolgschaft hinter sich zu haben, die geschlossen zusammensteht und ihm aufs Wort gehorchte.
Blaukappe war immer jemand, der Gefallen an kleinen und auch größeren Grausamkeiten fand. Er war nie besonders klug, sondern pflegte seine Ziele stets mit Gewalt und Einschüchterung durchzusetzen.
Nachdem Blaukappe in Ronramar von Arsai erschlagen wurde, gelangte er nach Awarnor, wo er das Zepter der Hexenkönigin in die Finger bekam. Außerdem nahm er dort den Körper eines Rattenmenschenkönigs in Besitz, wodurch er mit einem Mal eine riesige Armee aus Rattenmenschen hinter sich stehen hatte. Er schmiedete den Plan, mit der Macht des Zepters ein Portal nach Ronramar zu öffnen, um die Rotkappen nach Awarnor zu holen und Tod und Verderben über die Länder Awarnors und seine Bewohner zu bringen.
Wir konnten diesen Plan vereiteln und so fiel Blaukappe endgültig, dieses Mal durch die Hand der Hexenkönigin.
Während man bei den Rotkappen noch von makaberem Humor sprechen kann, sind die Dibbuk ausgesprochen blutrünstig. Sie sind schnell und gerissen, ihre Klingen verfehlen ihr Ziel selten.
Schon die jüngsten von ihnen lernen, wie man mit einem kleinen Dolch unbemerkt töten kann. Dies machte die Dibbuk zu einer gern genutzten Waffe bei Streitigkeiten, zumal ihnen die Freude am Töten meist Belohnung genug war. Dibbuk sind Meister der Verkleidung und der Intrige. Sie sind brillante Lügner und Täuscher. Obwohl ich vermeiden möchte, wertend zu sein, so muss ich doch sagen, dass man einem Dibbuk kein Wort glauben sollte, bevor man dessen Richtigkeit nicht überprüft hat.
Nachdem der Namenlose in Ronramar von Arsai erschlagen wurde, schlossen sich die Dibbuk wie die Rotkappen der Hexenkönigin an, um Rache für den Tod ihres Gottes zu nehmen. Auf wessen Seite die Dibbuk zurzeit, nachdem Arsai tot ist, stehen, vermag ich nicht zu sagen, da sie es verstehen, sich zu verstecken und ihre Absichten zu verbergen.
Der Namenlose fühlte sich sehr zu den Dibbuk hingezogen und sie bewunderten seine übernatürliche Schnelligkeit und seine Kälte.
Wenn einer von uns Neun aus der Reihe fiel, so war er es. Während wir anderen eine menschliche Gestalt wählten, als wir nach Ronramar kamen, zog er es vor, Schatten zu bleiben. Er beteiligte sich nie an Gesprächen. Eigentlich weiß ich gar nicht, ob der Namenlose jemals so etwas wie Ideale oder einen Plan, der über gelegentliche Ermordungen hinausging, hatte. Was ich allerdings weiß, ist, dass auch der Namenlose nach Awarnor kam, nachdem er in Ronramar durch Arsais Klinge den Tod gefunden hatte, und dass er an den Menschen, die in seine Nähe kamen, ein Massaker verübte.
Der Namenlose starb endgültig, als sich ihm Jurek und ein anderer, mutiger Mensch entgegenstellten und ihn mit zwei der neun legendären Klingen erschlugen.
Ein Arsai liebt nichts mehr als die Ordnung und ein geregeltes Leben. Bevor wir Neun nach Ronramar kamen, lebten sie jedoch recht verstreut und eigenbrötlerisch, da ihnen die vielen unordentlichen, Streiche-liebenden Clans um sie herum einfach zu viel waren. Es fehlte ihnen an Organisation und so nahm sich mein Bruder Arsai ihrer an. Er rief den Clan zusammen und führte ihn unter seiner Hand zu neuer Größe. Ihm zu Ehren benannten sie sich mit seinem Namen. Ein Arsai wird immer genau den Befehl ausführen, den mein Bruder ihm gibt, egal, ob es sein oder das Leben anderer kosten würde.
Mein Bruder Arsai war schon immer ein Krieger gewesen. Er hatte seine Ziele und Ideale und pflegte sie auch durchzusetzen. Deswegen glaube ich, dass er es war, der den Krieg in Ronramar begonnen hat, auch, wenn ich dafür bis heute keinen Beweis habe. Doch trotzdem lässt das Wissen, dass Arsais Wesen sich mit der Zeit so sehr zum „Guten“ gewandt hat, dass er irgendwann keinen anderen Weg als den seinen mehr akzeptieren wollte, mich zu diesem Schluss kommen, auch auf die Gefahr hin, dass ich meinem Bruder damit Unrecht tun sollte.
Wer auch immer den ersten Anstoß gegeben hat, Arsai war es, der Ronramar mit Krieg überzog und nacheinander immer mehr meiner Geschwister und schließlich auch mich erschlug und somit unwissentlich nach Awarnor schickte.
Als die Menschen, Puck und ich nach Ronramar zurückkehrten, um Blaukappe aufzuhalten, trafen wir dort auf Arsai, der mit seinem Clan noch immer gegen Ansealy, Rotkappen und Dibbuk kämpfte. Er zeigte wenig Verständnis dafür, dass er großen Anteil daran hatte, dass unsere Welt dem Untergang geweiht ist und Awarnor in großer Gefahr schwebt.
Arsai fiel im Kampf gegen Jurek, Archas und Irashaja, nachdem die Menschen entschieden hatten, dass er für seine Taten büßen müsste.
Würde ich diesen Clan in einem Wort beschreiben sollen, so wäre ich mir nicht sicher, ob es „reizbar“ oder „feurig“ wäre. Wenn man einem Bara gegenüber steht, kann man sich nie sicher sein, ob er nicht im nächsten Moment explodiert – Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ein wütender Bara beruhigt sich für gewöhnlich erst dann wieder, wenn er etwas angezündet hat. Und wütend kann ein Bara werden, wenn man nur ein falsches Wort zu ihm sagt. Auch die Bara lassen sich ungern beherrschen, doch in meiner Schwester Shaly fanden sie jemanden, der ihr ungezügeltes Temperament teilte und ihnen noch dazu mächtige Feuermagie beibringen konnte.
Wie die Bara war Shaly unstet wie die Flamme im Wind. Trotz ihrer Wutanfälle, zahlreicher verbrannter Bücher und Möbel habe ich sie jedoch immer gern gehabt, schließlich meinte sie es niemals wirklich böse, ihr fehlte eben von Zeit zu Zeit die Kontrolle.
Shaly geriet, nachdem sie von Awarnor nach Ronramar zurückkehrte, in die Hände der Hexenkönigin, die ihren Geist auf irgendeine Weise verwirrte. Bei unserem letzten Zusammentreffen hielt Shaly mich für einen Verräter und war völlig von Sinnen. Und so entschied Salvatore, dass sie aufgehalten werden musste. Er überzeugte die Menschen davon und so fand meine Schwester durch die legendären Klingen ihr Ende.
Der Clan der Renia ist ein sehr fröhliches Völkchen, dem Hass und Unfriede fern ist. Sie lieben bunte Dinge, lustige Spiele und Rätsel. Vor dem Krieg verbrachten sie ihre Tage unbekümmert, spielten harmlose Streiche und kümmerten sich wenig um den Rest der Welt. Obwohl ihnen nichts ferner liegt, als jemandem Schwierigkeiten zu bereiten, schlagen sie manchmal über die Stränge und verkennen häufig den Ernst einer Situation. Mein Bruder Arsai sagte einmal zu mir, dass die Renia das größte Übel Ronramars wären.
Mein Bruder Puck hingegen war begeistert von diesem Clan. Ebenso wie er sind sie etwas leichtsinnig und wie sie kümmert es ihn wenig, was um ihn herum geschieht, solange er jemanden hat, dem er Rätsel stellen und Streiche spielen kann. Puck trat den Renia gegenüber nie als Herrscher auf, denn ihm liegt nichts ferner als Autorität.
Puck ist derjenige, der mich auf meinem Weg am weitesten begleitet hat, und doch ist er für mich noch immer undurchschaubar. Zunächst schien er auf der Seite der Menschen zu stehen, nur um dann zur Hexenkönigin zu wechseln und sogar Vana zu töten. Salvatore behauptet, das gehöre alles zu seinem Plan und in Wahrheit würde Puck immer noch für Awarnor kämpfen, aber ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob wir Puck trauen können. Doch das wird die Zukunft zeigen.
Der Clan der Noldor nennt sich selber einfach Brownies, was auf ihre Gesichtsfarbe zurückzuführen ist. Noldor spielen gern im Dreck, haben wenig Verständnis für Feinfühligkeit und Etikette. Sie würden sich jedem Anführer verweigern, der es wagen würde, ihre Freiheiten zu beschneiden. So waren sie zuerst wenig begeistert von uns Neun, doch irgendwie schaffte mein Bruder Salvatore es, ihr Vertrauen zu erlangen. Er hat nie versucht, sie anzuführen, sondern sorgte nur stets dafür, dass alles Unheil von ihnen abgehalten wurde. Ich kann mich gut an die Tage erinnern, an denen Arsai wutschnaubend zu Salvatore kam, und sich über einen derben Noldor-Streich beschwerte, doch Salvatore schaffte es verblüffender Weise immer wieder, ihn zu beruhigen.
Denn das ist die Spezialität meines Bruders – Dinge nach seinem Willen laufen zu lassen. Er hält die Fäden in der Hand und verrät niemals mehr über seine Vorhaben, als er unbedingt muss. Noch bevor der Krieg ausbrach, verschwand er und begann, seine Pläne zu schmieden. Er rettete Shaly, Blaukappe, den Namenlosen und mich, als wir von Arsai erschlagen wurden und schickte uns nach Awarnor. Ich bekam schon früh heraus, dass er es war, der unter dem Namen „Jurik Noldor“ durch die Lande der Menschen reiste, doch bis ich ihn fand, vergingen Jahre. Salvatore entscheidet selber, wann er die Bühne betritt.
Obwohl ich mir sicher bin, dass Salvatores Ziele im Allgemeinen mit den meinen übereinstimmen, betrachte ich seine Pläne mit Sorge. Ich muss ehrlich zugeben, dass es mich sehr stört, stets von ihm im Unklaren gelassen zu werden und ich bin mir nicht sicher, ob ich die Menschen wirklich mit gutem Gewissen einem Plan folgen lassen kann, dessen Verlauf niemand anderem als Salvatore bekannt ist. Doch ich fürchte, es liegt nicht in meiner Macht, daran in näherer Zukunft etwas zu ändern.
Was den Rotkappen die blutig-roten Kopfbedeckungen sind, ist den Baneth ihre Schönheit. Wie kein anderes Volk achten sie sehr auf ihr Äußeres und können äußerst ungehalten reagieren, wenn man sie nicht anerkennt. Mancher mag sagen, dass die Baneth arrogant wären, doch muss ich sagen, dass sie stellenweise Recht haben. Sie tragen feine Kleider und prächtige Masken, haben gute Manieren und sind, solange es nicht um das eigene Aussehen geht, sehr angenehme Gesprächspartner. Ein Baneth würde alles für sein An- und Aussehen tun und so sind sie der einzige Clan, der bereits vor unserer Ankunft ein ausgeklügeltes Herrschaftssystem hatte, in dem die weiblichen Baneth dominieren. Meine Schwester Vana war selbstverständlich begeistert und von dem Moment an, da die Baneth meine wunderschöne Schwester das erste Mal sahen, war sie eine wirkliche Göttin für sie, die alles übertraf, was sie jemals gesehen hatten.
Zu Beginn des Krieges flüchtete Vana sich an die Seite Arsais, da sie es für wahrscheinlich hielt, dass er schnell siegen würde. Meine Schwester macht sich nichts aus Kämpfen und wollte so rasch es eben möglich war, wieder Frieden in Ronramar haben.
Sie war nie jemand, der sich in die Angelegenheiten von anderen einmischte und war glücklich, wenn sie ein neues Kleid oder ein schönes Schmuckstück hatte, und sich bewundern lassen konnte.
Doch inzwischen hat sich das geändert. Als die Menschen und ich nach Ronramar kamen, mussten wir Vana aus dem Kerker Arsais befreien, da sie versucht hatte, ihn mit ihrer Magie zu beeinflussen.
Seither scheint sie mir härter geworden zu sein und ich habe nur noch selten das Gefühl, dass ich sie beschützen muss. Auch, wenn sie noch immer kaum ohne ihren Spiegel anzutreffen ist und auf Missachtung mit äußerster Übellaunigkeit reagiert, so bin ich doch froh, sie an meiner Seite zu haben, denn ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann, wenn es nötig ist.
Die Eladrin sind eher zurückhaltende Wesen, sie lieben die Bücher und das Wissen. Man findet sie zumeist in Bibliotheken oder an historischen Stätten, wo sie alles tun, um Wissen zu mehren und für die Welt zu erhalten. Sie alle besitzen große Weisheit und manche sogar seherische Fähigkeiten.
Es macht mich sehr stolz, dass dieser Clan mich als seinen Führer auserwählte, obwohl er eigentlich keinen gebraucht hätte, denn die Eladrin sind sorgfältig, bestens organisiert und sehr gewissenhaft. Wer einen guten Rat braucht, wird ihn von einem Eladrin immer bekommen. Madras – nun, das bin ich. Ich weiß nicht, ob ich die beste Person dafür bin, mich selber treffend zu beschreiben, doch ich werde es versuchen.
Seit ich nach Ronramar kam und dort auf die Eladrin traf, suchte ich nach Wissen. Damals konnte mich kaum etwas überraschen, denn die Zukunft war etwas, auf das ich hin und wieder einen Blick erhaschen konnte. Ich wollte nie ein Kämpfer oder ein Anführer sein. Alles, was ich tat oder noch tun werde dient nur einem Zweck: Das Leben in Ronramar und Awarnor zu erhalten und zu verhindern, dass die Dunkelheit siegt. Bevor ich einige ganz besondere Menschen traf, hatte ich oft Zweifel, ob ich dieser Aufgabe gerecht werden kann, doch ich habe eines gelernt: Zum einen gibt es in der Gemeinschaft, in der ich mich zur Zeit bewege, kein „Ich“, sondern nur ein „Wir“ und dieses „Wir“ gibt weder die Hoffnung auf ein gutes Ende auf, noch hegt es Zweifel daran, dass es Erfolg haben wird.
Bevor ich zu dem komme, was die Hexenkönigin aus ihrem Clan gemacht hat, möchte ich einige Worte darüber verlieren, was dieser Clan einst war, denn dies sollte niemals in Vergessenheit geraten.
Mancher mag sagen, dass die Ansealy schon immer ein eher düsteres Volk waren, doch ich würde widersprechen. Die Art ihres Humors war allerdings wirklich recht makaber. Das Leid anderer war für sie die beste Belohnung für einen gelungenen Streich. Sie mochten Waffen und Rüstungen und hatten eine sehr talentierte Schmiedezunft, die sie ausstattete. Es gab kaum etwas, was einen Ansealy stolzer machte, als seine eigene Waffe in den Hände halten zu dürfen. Vermutlich war dies einer der Gründe, weswegen die Hexenkönigin diesen Clan den anderen vorzog. Auch sie erfreut sich an Grausamkeiten. Eigentlich waren die Ansealy niemals gefährlich – jedenfalls nicht gefährlicher, als Dibbuk oder Arsai – doch was ich in Awarnor gesehen habe, als die Hexenkönigin sich dort zeigte, waren nicht mehr die Ansealy, die ich kannte. Ihr Aussehen hat sich kaum verändert, außer, dass sie vielleicht noch ein wenig unheimlicher geworden sind. Doch die Düsternis, die sie ausstrahlen, war früher nicht da. Außerdem scheinen sie Magie gelernt zu haben, die weitaus mächtiger ist, als die Sei-Magie. Ich kann es mir nicht erklären, vermute jedoch eine Teufelei meiner Schwester.
Die Hexenkönigin war schon immer eine Einzelgängerin. Sie strebte stets nach Macht und kam dabei irgendwann Arsai in die Quere. So begann der Krieg in Ronramar. Meine Schwester ist klug und handelt immer nach einem Plan. Sie hat ein Talent dafür, andere genau das tun zu lassen, was für sie selbst am besten ist. Doch das gelingt ihr nicht durch Intrigen oder Lügen – tatsächlich kann ich mich nicht an eine Situation erinnern, in der sie jemals nicht die Wahrheit gesagt oder falsche Versprechungen gemacht hätte – sondern durch Drohungen und die Tatsache, dass sie immer zu wissen scheint, was andere denken.
Sie ist gefährlich, daran besteht kein Zweifel, vor allem, weil meines Wissens nach niemand außer ihr selber weiß, was genau sie eigentlich vorhat.
Bevor es durch den Krieg der Götter zerstört wurde, lag Ronramar in Mitten eines Ozeans. Die neun Clans bewohnten hauptsächlich verschiedene Teile des Landes, wodurch es nur selten zu ernsthaften Konflikten kam. Allgemein kann man sagen, dass Ronramar immer sehr friedlich war, denn eigentlich lag es den Clans nie wirklich im Blut, Krieg zu führen. Natürlich gab es hier und da kleinere Streitereien, doch diese wurden schnell wieder beigelegt und jeder lebte sein Leben weiter.
Man sagt, jede Welt habe ihre eigene Art, mit der Magie umzugehen, die sie durchfließt. Während mancherorts große Rituale und lange Litaneien benötigt werden, um sich die magischen Kräfte untertan zu machen, ist die Art, wie die Clans Magie vollbringen, ebenso simpel, wie genial.
Sei-Magie kann keine Berge versetzen, kein Wasser in der Wüste erschaffen oder Feuer entzünden. Sie wirkt einzig auf den Geist und lässt den Bezauberten Dinge glauben. Um es in ein einfaches Beispiel zu stecken – Sagt ein Baneth „Sei still“, weil du seine Frisur beleidigt hast, so bleibt dir nichts anderes übrig, als tatsächlich still zu sein. Genauso würde jemand, zu dem ein Noldor „Sei ein Frosch“ gesagt hat, vermutlich sofort in den nächsten Teich springen und sich später über die nassen Kleider wundern.
Der Zustand hält nicht lange an, sodass es selten vorkam, dass tatsächlich Schaden mit der Sei-Magie angerichtet wurde. So fand ich, dass diese Art der Zauberei sehr gut zu Ronramar und seinen Bewohnern, die größtenteils niemandem etwas zuleide tun wollten, passte.
Seit der Krieg begonnen hat, ist dies anders. Als die Clans anfingen, ihre Magie bewusst zu nutzen, um ihre Feinde zu vernichten, wurde mir schnell klar, dass ich etwas dagegen tun musste. Die übermäßige Nutzung der Sei-Magie ließ das Gefüge der Welt bröckeln. Ich hoffte damals vergebens, das Zerbrechen Ronramars aufhalten zu können.
Gemeinsam mit Vana, Shaly, Puck und Arsai versiegelte ich die Magie, auf dass sie nicht mehr auf Geschöpfe Ronramars wirkte.
Schon damals hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht so funktioniert hatte, wie ich es geplant hatte, und als ich nach Awarnor kam, musste ich feststellen, dass die Sei-Magie auf die Bewohner dieser Welt nach wie vor wirkt.
Im Kampf gegen die Hexenkönigin stellt uns dies natürlich vor ein großes Problem und ich hoffe, dass entweder Salvatore schon eine Lösung dafür hat, oder ich mir eine einfallen lassen kann.
Ich verbrachte einige Zeit damit, mir zunächst einen Überblick über die Lage zu verschaffen, und dann, eine friedliche Lösung zu finden, doch weder Blaukappe, noch der Namenlose oder Arsai waren dazu bereit und die Hexenkönigin und alle Ansealy waren mit einem Mal verschwunden.
In den nächsten Wochen verwandelte sich Ronramar in ein Schlachtfeld. Arsai kämpften gegen Rotkappen und Dibbuk, die Bara griffen jeden an, der sich in ihre Nähe wagte. Vana verbündete sich, in der Hoffnung, dass er schnell wieder Ruhe nach Ronramar bringen konnte, mit Arsai.
Je länger die Kämpfe tobten, desto mehr spürte ich, dass etwas vor sich ging, was ganz und gar nicht gut war. Obwohl die Sommer in Ronramar immer warm und sonnig gewesen waren, wurde der Himmel grau und ein kalter Wind wehte über das Land. Mir war klar, dass dies mit der übermäßigen Nutzung der Magie zu tun haben musste, und so forschte ich tief in den Archiven der Eladrin nach einer Möglichkeit, die Sei-Magie zu versiegeln.
Irgendwann konnte ich Risse, tief im Gefüge der Welt, spüren, und die Erkenntnis, dass Ronramar wahrscheinlich einfach untergehen würde, wenn ich keine Lösung fände, traf mich hart.
Irgendwann in dieser Zeit besuchte Arsai mich in den Archiven jenseits des Wilden Flusses, um mir zu berichten, dass er Blaukappe erschlagen hatte. Zuerst wollte ich nicht glauben, dass er in der Lage gewesen war, seinen eigenen Bruder zu ermorden, doch Arsais Hass und seine Wut auf alles, was ihm nicht folgen wollte, hatten ihn blind gemacht für das, was er anrichtete.
Voll Trauer um Blaukappe, meinen Bruder, suchte ich weiter und stieß tatsächlich auf eine alte Pergamentrolle, auf der ein Zauber beschrieben war, der Magie bannen konnte.
Ich war mir nicht sicher, ob es reichen würde, den Magiefluss einer ganzen Welt anzuhalten, doch ich hatte keine andere Wahl. Die Risse wurden von Tag zu Tag tiefer. Da ich wusste, dass ich einen so mächtigen Zauber niemals allein würde weben können, bat ich alle meine Geschwister, die noch mit mir redeten, um Hilfe.
Arsai sagte zu, weil er wusste, dass seine Krieger auch ohne Magie mächtig genug waren, die Feinde zu besiegen. Vana unterwarf sich seiner Entscheidung.
Puck fand, dass es der Welt einiges an Spaß nehmen würde, sah aber ein, dass die Magie im Moment mehr Übel als Gutes anrichtete. Außerdem, fügte er hinzu, seien die Renia auch ohne Zauberei in der Lage, die besten Streiche auszuhecken.
Shaly war sowieso nie eine Freundin der Sei-Magie gewesen, da sie mit ihr nichts anzünden konnte. Ihre Magie würde von dem Zauber nicht berührt werden, jedenfalls sagte ich ihr das so. Damals war ich mir nicht sicher, ob dies wahr war, doch die Lage war zu ernst, als dass ich mich hier von moralischen Überlegungen hätte aufhalten lassen. Ich bin nicht Arsai. Inzwischen weiß ich, dass ich sie nicht einmal angelogen habe.
Der Zauber glückte teilweise. Wir alle waren sehr erschöpft, doch es schien, als hätten wir die Sei-Magie tatsächlich gebannt. Trotzdem waren große Stücke Ronramars bereits zerbrochen und ich wusste, dass diese Schäden irreparabel sind. Schon zu dieser Zeit spürte ich noch einen Funken in mir, führte dies jedoch auf mein Wesen zurück und nicht darauf, dass vielleicht doch nicht alles so funktioniert hatte, wie ich es geplant hatte.
Hatte ich gehofft, dass sich die Wogen zwischen meinen Geschwistern glätten würden, so wurde ich enttäuscht. Shaly verließ uns, sobald der letzte Zauber gewoben war, und auch Puck zog sich zurück. Arsai beschloss, seine militärische Überlegenheit zu nutzen, um die Dibbuk zu vernichten. Ich konnte ihn nicht zurückhalten und so erreichte mich wenig später die Nachricht vom Tod des Namenlosen.
Inzwischen waren wieder einige Ansealy aufgetaucht und stritten nun Seite an Seite mit Rotkappen und Dibbuk, und so strebte Arsai ein Bündnis mit Shaly und den Bara an. Er stellte ihr ein Ultimatum und drohte, sie ebenfalls umzubringen, sollte sie sich ihm nicht anschließen.
Zu dieser Zeit kamen einige der weisesten Eladrin zu mir und berichteten, sie hätten vorhergesehen, dass ich es sein würde, der den Krieg beendet. Doch wie hätte ich daran glauben können, wo Arsai sich vor meinen Worten verschloss und die Hexenkönigin nicht einmal auftauchte?
Arsais Ultimatum an Shaly lief aus, ohne, dass sie ein Wort darüber hätte verlauten lassen, wie sie sich entschieden hatte.
Da ich ihren Stolz kannte, war ich mir sicher, dass sie sich weder in Sicherheit bringen, noch sich Arsais Willen beugen würde, und so verbrachte ich die Tage, nachdem Arsai ausgezogen war, um sie für ihren Ungehorsam zu bestrafen, in großer Sorge. Als ich dann eines Nachts von etwas geweckt wurde, das sich anfühlte, wie ein Erdbeben, schienen meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Tatsächlich kehrte Arsai wenig später mit stolz geschwellter Brust zurück und verkündete, dass er der Verräterin Shaly ein Ende gemacht hatte. Beiläufig erwähnte er, dass dabei wohl ein recht großer Teil der Welt einfach ins Nichts gesprengt worden war.
Ich war fassungslos. Dass Arsai seinen Prinzipien eisern folgte, war nichts Neues, doch dass er die Vernichtung seiner Welt dafür in Kauf nahm, hätte ich niemals gedacht.
Puck verschwand ebenfalls in der Nacht, in der Shaly starb, jedoch dachte ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nichts dabei. Puck war wütend auf Arsai, der alles zerstörte, was er liebte, und so schloss ich, dass er entweder etwas gegen Arsai ausheckte oder einfach wie Salvatore beschlossen hatte, dem Krieg den Rücken zu kehren.
Der Wind wurde kälter und kälter, während Arsai nun, wo alle greifbaren Gegner aus dem Weg waren, seine Aufmerksamkeit der Hexenkönigin zu wandte. Sie war noch immer verschwunden und obwohl mein Bruder alles daran setzte, sie zu aufzuspüren, blieb sie unauffindbar.
Als Arsai irgendwann die Ideen ausgingen, kam er schließlich zu mir. Wäre er klüger gewesen, hätte er dies schon viel früher getan, schließlich bin ich im Besitz einer Kugel, die mir jedes meiner Geschwister zu jeder Zeit zeigen kann. Doch in diesem Fall musste die Hexenkönigin mächtige Magie gewebt haben, denn die Kugel zeigte gar nichts.
Arsai glaubte mir das selbstverständlich nicht, er vermutete, ich wolle unsere Schwester vor ihm beschützen, und so stellte er auch mir ein Ultimatum: Würde ich die Hexenkönigin nicht bis zum nächsten Tag an ihn verraten, würde er mich Shaly nachschicken.
Es war nicht so, dass ich den Tod fürchtete – nein, ich fürchtete nur, was mit Ronramar geschehen würde, wenn die letzte Stimme der Vernunft verstummen würde. Um der Clans Willen musste ich eine Möglichkeit finden, den Krieg zu beenden, doch ich wusste nicht wie. Ich war in die Rolle des tatenlosen Zuschauers gedrängt, dem niemand zuhörte.
Während ich mir den Kopf zermarterte und mich gleichzeitig darauf einstellte, dass dies wohl meine letzte Nacht sein würde, tat sich mit einem Mal ein Weg vor mir auf, der so klar schien, dass ich mir nicht erklären konnte, wie ich ihn hatte übersehen können. Ich hatte lange keine Vision mehr gehabt, und diese machte mir Angst, denn sie zeigte eine lange, beschwerliche Reise, voller Schatten und Ungewissheit, doch am Ende lag der Frieden.
Es war der Tag gekommen, an dem ich derjenige sein musste, der Mut fasst.
Der Weg, an dessen Ende der Frieden steht, beginnt mit meinem Tod.
Und so ging ich im Morgengrauen zu Arsai. Ich warf ihm all das an den Kopf, was ich bisher aus verschiedenen Gründen für mich behalten hatte – Ich nannte ihn einen Verräter an den Clans und sagte, dass er derjenige war, der Unrecht tat. Es dauerte nicht lange, bis der Zorn ihn übermannte. Und so fand auch ich durch sein Schwert den Tod, wie Blaukappe, der Namenlose und Shaly vor mir.
Doch ich wusste, dass mein Tod nicht das Ende sein würde.
Das nächste, an das ich mich erinnere, konnte ich mir zunächst nicht genau erklären. Etwas zog an mir, während ich von Dunkelheit umgeben war, zog mich immer fester in eine bestimmte Richtung. Dann schlug ich die Augen auf und fand mich auf einer Wiese wieder. Über mir schien die Sonne, das erste Mal, seit der Krieg ausgebrochen war.
Über einen Pfad gelangte ich in ein verlassenes Dorf. Das einzige lebendige Wesen, das ich dort am Anfang antraf, war der Wirt der Taverne, der sehr verwirrt schien. Er konnte eine Menge über Rattenmenschen, seltsame Wesen, die das Dorf übernommen hatten und sich fortwährend stritten und eine Höhle, in der Monster lebten, berichten. Es dauerte auf Grund seines geistigen Zustandes eine ganze Weile, bis ich genug Informationen aus ihm herausbekommen hatte, doch einige Wochen später konnte ich mir bereits ein genaues Bild machen.
Ich war nicht mehr in Ronramar. Der Name der Welt, in die ich gelangt war, ist Awarnor. Sie wird hauptsächlich von den Menschen bewohnt, einer Rasse, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt lange nichts mehr gehört hatte.
In Daimon, dem Dorf, in dem ich mich befand, kam es schon vor einiger Zeit zu seltsamen Zwischenfällen, als ein Zauberer in einer Höhle eine Einrichtung eröffnen wollte, in der Helden gegen Monster streiten konnten.
Dabei wurden die Rattenmenschen aufgeschreckt. Was mich allerdings aufhorchen ließ, waren die Berichte des Wirts über ein unnatürlich schnelles Wesen, das das Dorf bei Dunkelheit heimsuchte. Hatte der Namenlose auch überlebt? Dieser Frage wollte ich auf den Grund gehen und verschaffte mir deswegen Zutritt zur Höhle. Inmitten einer großen Horde aller möglichen Kreaturen traf ich jedoch nicht auf den Namenlosen, sondern auf Puck. Ich glaube, ich war noch nie glücklicher, als in dem Moment, in dem mir klar wurde, dass mein Bruder nicht tot war und auch nichts von seinem Humor eingebüßt hatte. Mit seiner Hilfe gelang es mir, einen recht umfassenden Überblick über die Dinge zu bekommen, die hier in Daimon geschehen waren, nachdem der Krieg in Ronramar die ersten Opfer gefordert hatte.
Neben Puck und mir waren auch der Namenlose, Blaukappe und eine handvoll Noldor und Baneth hier.
Blaukappe befehligte die Rattenmenschen, da er den Körper ihres Anführers in Besitz genommen hatte, der Namenlose nutzte den Zauberer, der die Höhle erkundet hatte, als Hülle.
Die Ratten hatten fast alle Bewohner Daimons getötet und der Rest wurde aufgrund der Sei-Magie, die trotz des Siegels gegen die Bewohner Awarnors wirkt, wahnsinnig. Inzwischen war nur noch der Wirt hier.
Vor einigen Wochen tauchte eine Gruppe von Abenteurern auf, die die Höhle erkundete und dabei auf das Zepter der Hexenkönigin stieß, das sie Blaukappe überließ, damit er mit seinen Ratten abzog. Diese Leute müssen entweder wahnsinnig gewesen sein oder sie haben nicht erkannt, dass sie ein unglaubliches mächtiges Artefakt in ihren Händen hielten. Die Hexenkönigin ist klug genug, die Kraft des Zepters maßvoll einzusetzen, ich bezweifelte stark, dass dies bei Blaukappe ebenso war.
Da in diesem Moment außer dem Wirt keine Menschen mehr in Daimon waren, beschloss ich, alles daran setzen, Blaukappe und den Namenlosen aufzuspüren und sie davon zu überzeugen, dass sie am besten genau hier bleiben und nicht mit ihrer unglaublichen Macht Angst und Schrecken über Awarnor bringen sollten. Es wäre naiv gewesen zu glauben, sie würden dies freiwillig tun, den beide liebten es, Leid über die zu bringen, die sich nicht wehren können, aber mit Hilfe von Puck fühlte ich mich in der Lage, sie dazu zu zwingen und außerdem dafür zu sorgen, dass kein Mensch jemals wieder den Weg nach Daimon finden würde.
Als ich einige Tage später nach stundenlanger Suche nach meinen beiden Brüdern zurück nach Daimon kam, beschloss ich, mich einmal in den verlassenen Hütten umzusehen. Ich wusste nicht viel über die Menschen und hoffte, ich könnte vielleicht durch ihre Wohnungen mehr über sie erfahren.
In einem der Häuser stieß ich auf ein sehr schön gearbeitetes Schwert. Als ich es mir ansah, konnte ich plötzlich eine wohlbekannte Stimme hören, die mich sehr glücklich machte, obwohl das, was sie sagte, nicht unbedingt nett war. Ich hatte Shaly gefunden.
Selbstverständlich war sie unglaublich frustriert, seit Wochen in einem Schwert festzustecken, trotzdem glaube ich, dass sie sich freute, mich zu treffen.
Am Abend, als es draußen dunkel wurde und die Noldor und Baneth ihre lautstarken Streitereien für diesen Tag beendet hatten, sodass ich ungestört nachdenken konnte, fiel mir etwas auf, was mir eigentlich schon früher hätte auffallen müssen. Es warf sich die Frage auf, ob es Zufall war, dass wir alle – meine Geschwister, die Noldor und Baneth und ich – am selben Ort gelandet waren, nachdem uns in Ronramar der Tod ereilte. Ich erinnerte mich noch genau an den Sog, der mich genau an diesem Ort zog, als ich zwischen den Welten schwebte. Ob die anderen ihn wohl auch gespürt hatten? Ich beschloss, Puck und Shaly gleich am nächsten Tag zu fragen. Wenn tatsächlich jemand in das Gefüge der Welten eingegriffen hatte, dann musste diese Person über sehr starke magische Fähigkeiten verfügen. Sollte es sie geben, war es wichtig zu wissen, was sie sich dabei gedacht hatte, uns alle nach Awarnor in dieses Dorf zu bringen.
Tatsächlich hatten sowohl Puck als auch Shaly die gleiche Kraft gespürt, wie ich.
Shaly merkte noch an, dass sie zuerst dagegen angekämpft hatte, doch dann erschien ihr die Kraft mit einem Mal so vertraut, dass sie nachgab.
Ich habe daraufhin versucht, mich so gut wie möglich an das zurück zu entsinnen, was zwischen dem Verlassen Ronramars und der Ankunft in Awarnor geschehen war und tatsächlich regte sich ein kleiner Funke der Erinnerung, der mir sagte, dass nicht nur Shaly in dem Sog etwas Vertrautes gespürt hatte. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich die Kraft ebenfalls gekannt hatte. Also musste sie von einem mächtigen Wesen aus Ronramar stammen und die einzigen Wesen dort, die einen Zauber zwischen den Welten platzieren könnten, sind meine Geschwister und ich.
Eigentlich hätten wir alle tot sein sollen und ich bin mir sicher, wir wären es gewesen, wenn die Kraft uns nicht aus der Leere nach Awarnor gezogen hätte.
Somit gab es eigentlich nur eine Möglichkeit, wer dafür verantwortlich sein konnte, und der Gedanke, dass auch er in Awarnor war und dass er uns nicht vergessen hatte, wie ich es befürchtet hatte, machte mir Hoffnung.
Neben der Suche nach Blaukappe und dem Namenlosen hörte ich mich von nun an auch in der Umgebung nach Salvatore um. Wenn er den Zauber gewebt hatte, der uns alle gerettet hat, dann musste er hier gewesen sein und mein Bruder ist eigentlich niemand, den man so schnell vergisst.
Wie viele Bewohner Ronramars mögen auch die Menschen gern Glücksspiele und so war ich mir sicher, dass Salvatore in irgendeiner Taverne in der Nähe mit ihnen gespielt und (natürlich) gewonnen hatte. Jemanden, der immer gute Karten hat und scheinbar die Würfel dazu bringt, genau das Ergebnis zu zeigen, was ihm dem größten Gewinn beschert, würde man nicht vergessen haben.
Während ich Wochen später noch immer keine Spur vom Namenlosen oder Blaukappe finden konnte, hatte ich tatsächlich in einer Taverne, einige Tagesreisen von Daimon entfernt, mit einem Mann gesprochen, der sich an einen Glückspilz erinnerte. Das allein bedeutete natürlich nicht viel, doch im weiteren Verlauf des Gesprächs erfuhr ich, dass der Fremde, der mit einem Lächeln sagte, er käme von „wirklich sehr, sehr weit her“, an dem Abend jedes Spiel gewonnen hatte. Ich fragte, ob der Mann sich an den Namen des Fremden erinnerte – Das tat er. Der Fremde hatte sich als „Jurik Noldor“ vorgestellt. Natürlich hätten dies alles Zufälle sein können, doch schon damals glaubte ich nicht an Zufälle.
Salvatore war in Awarnor, allerdings befürchtete ich, wie ich später feststellen sollte, zurecht, dass er nicht in der Umgebung von Daimon geblieben war, sondern diese Welt erkundete. Doch in diesem Moment hatte ich nicht die Zeit, ihm nachzureisen. Ich musste den Namenlosen und Blaukappe finden.
In der nächsten Nacht wurde ich von so etwas wie einem Schlag geweckt. Es war ähnlich wie die Erschütterung, die durch Ronramar ging, als Arsai und Shaly kämpften, nur weitaus schwächer. Trotzdem machte es mir Sorgen, gerade weil ich wusste, dass Blaukappe das Zepter meiner Schwester hatte. Ich stand sofort auf und suchte nach dem Ursprung der Entladung, fündig wurde ich jedoch nicht.
Den nächsten Tag verbrachte ich wieder mit der Suche nach meinen Brüdern. Wie einfach es doch zu Hause gewesen wäre...
Als ich nach Daimon zurückkehrte, bot sich mir ein Bild des Schreckens: Irgendetwas hatte unter den Noldor und Baneth gewütet, die meisten von ihnen lagen erschlagen am Boden. Da ich bisher beobachten konnte, dass keine Waffe Awarnors ihnen Schaden zufügen konnte, war ich in Alarmbereitschaft versetzt.
Ich holte zuerst Shaly aus meiner Hütte, denn selbst als Schwert war sie im Kampf noch immer nützlicher, als ich. Puck war nicht aufzufinden.
Wir folgten einer Spur in den Wald und entdeckten auf einer Lichtung eine große Gruppe Rotkappen, die einige Noldor und Baneth eingekreist hatten. Noch nie hatte ich gesehen, wie Rotkappen wirklich willentlich töteten, doch diese taten es.
Als sie Shaly und mich bemerkten, schienen sie uns zu erkennen und flohen sofort. Ich brachte die überlebenden Noldor und Baneth zurück nach Daimon. Sie waren so erschrocken über das, was geschehen war, dass keiner von ihnen sprechen wollte. Ich konnte sie gut verstehen. Rotkappen waren eigentlich niemals Mörder gewesen, jedenfalls nicht absichtlich.
Nach diesen Ereignissen versuchte ich die ganze Nacht und den nächsten Morgen die Spuren der Rotkappen zu verfolgen, doch diese waren nicht so auffällig wie die, die mich zu der Waldlichtung geführt hatten.
Das einzige, was ich entdeckte, war schließlich eine weitere Lichtung viel tiefer im Wald, auf der noch magische Strömungen zu spüren waren. Außerdem entdeckte ich Spuren, die scheinbar aus dem Nichts begannen und in Richtung des Dorfes führten. Schnell wurde mir klar, was hier geschehen war.
Durch das Auftauchen der Rotkappen hatte sich einiges verändert. Ich wachte nicht mehr jeden Morgen davon auf, dass Noldor und Baneth sich lautstark stritten. Puck zog sich immer öfter in seine Höhle zurück, weil ihm die gedrückte Stimmung nicht gefiel. Und ich hatte noch eine Sorge mehr. Was, wenn die Rotkappen über die Menschen herfallen würden? Was könnten diese armen Geschöpfe gegen blutdürstige Wesen unternehmen, denen keine Waffe und keiner ihrer Zaubersprüche gewachsen war? Damals ahnte ich noch nichts vom Mut der Menschen.
Manchmal traf ich im Wald auf einige Rotkappen, doch sie hielten sich nun zurück und kamen nicht mehr über die Dorfgrenze von Daimon. In dieser Zeit ärgerte ich mich das erste Mal darüber, dass die Sei-Magie versiegelt war. Wäre sie es nicht gewesen, hätte ich jede der Rotkappen dazu zwingen können, mich zu Blaukappe zu führen, anstatt mich von ihnen auslachen zu lassen.
Einige Zeit später schien wieder Unheil aufzuziehen. Bei meiner täglichen Suche stieß ich auf die Leichen von einer Menge Menschen. Alle waren enthauptet. Sie trugen die Farben des Farmionischen Großreichs, einer sehr starken Macht in Awarnor. Da die Leichen sowohl präzise platzierte Schnitte und hässliche Fleischwunden als auch Bissspuren aufwiesen, ging ich davon aus, das dort Rattenmenschen und Rotkappen unter Blaukappes Befehl gemeinsame Sache gemacht hatten.
In der Tasche eines Toten fand ich eine Notiz, aus der hervorging, dass dieser Trupp ausgeschickt worden war, um in Daimon nach dem Rechten zu sehen. Anscheinend machten inzwischen Gerüchte über seltsame Vorkommnisse die Runde.
Da ich die Menschen zu diesem Zeitpunkt nicht gut kannte, wusste ich nicht, was sie tun würden, wenn der Trupp nicht zurückkehrte. Und was war mit den Köpfen der Männer geschehen?
Puck sagte, er würde es lustig finden, wenn wieder ein paar Menschen nach Daimon kommen würden. Ich dachte, seit ich die Leichen gefunden hatte, nur daran, wie ich den Menschen erklären sollte, was in diesem Dorf vor sich ging.
Manchmal gingen meine Gedanken jedoch noch ein Stück weiter... Was, wenn die Menschen helfen könnten, die Lage wieder zu bereinigen?
Nach allem, was Puck über die erzählt hatte, die vor meiner Ankunft in Daimon waren, schienen sie sich nicht allzu dumm anzustellen. Könnte ich es mit ihrer Hilfe schaffen, die Ordnung in Daimon soweit wieder herzustellen, wie es nach allem, was geschehen war, noch möglich war?
Doch bevor ich weiter Pläne über Menschen schmiedete, die vielleicht niemals ihren Weg nach Daimon finden würden, wollte ich mich dringenderen Problemen zuwenden.
In den letzten Nächten glaubte ich öfter, einen Schatten durch das Dorf huschen zu zu sehen, viel zu schnell, als dass ich etwas genaues hätte erkennen können. Trotzdem, oder eher gerade deshalb, vermutete ich, dass es der Namenlose war und es gefiel mir nicht, dass er durch das Dorf streifte, ohne irgendetwas zu tun.
Außerdem hatten einige Rotkappen sehr nahe am Dorfrand ein Lager aufgeschlagen.
Was hatten Blaukappe und der Namenlose vor? Wie ich sie kannte, nichts Gutes, doch um es zu verhindern, brauchte ich mehr Informationen. Wie hätte ich an diese herankommen können, während die Rotkappen mir nur eine lange Nase drehten?
Die Fragen wurden auch die Tage darauf nicht weniger, doch dann geschah etwas, das der Anstoß für viele weitere Ereignisse werden sollte. Ich hatte an diesem Tag nicht viel getan, außer herumzugrübeln und einige belanglose Gespräche mit Shaly zu führen, doch gegen Abend kam es dann zu Unruhe am Dorfrand. Ich eilte natürlich sofort mit Shaly dorthin und wurde Zeuge davon, wie eine Gruppe Menschen auf einen Trupp Rotkappen stieß.
Zuerst fürchtete ich, die Rotkappen würden sie ebenso töten, wie die farmionischen Soldaten, doch sie verlangten lediglich einen Blutzoll, weswegen ich sie zunächst gewähren ließ.
Erst, als sie in das Dorf kamen und die Baneth und den Noldor, die noch geblieben waren, in schreckliche Angst versetzten, vertrieb ich sie.
Shaly war erfreut, dass endlich Bewegung ins Dorf kam. Sie hoffte, dass die Menschen etwas gegen Blaukappe und den Namenlosen unternehmen wollten und bat mich, sie an einen von ihnen weiterzureichen.
Unsere Wahl fiel auf einen jungen Mann namens Torik, dem die Sache mit dem sprechenden Schwert zwar nicht so ganz geheuer zu sein schien, der sich der Ehre aber scheinbar bewusst war. Ich bezweifelte zwar stark, dass ein Mensch eines meiner Geschwister besiegen könnte, aber zumindest gegen die Ratten, die sich ebenfalls in den letzten Tagen immer näher am Dorf hatten blicken lassen, würden die Menschen eine gute Waffe sein, dessen war ich mir sicher.
Als nächstes fand ich dann auch heraus, was mit den Köpfen der farmionischen Soldaten geschehen war. Jemand hatte sie zurück geschickt, weswegen diese Menschen nun hier waren.
Ich wollte nicht so recht glauben, dass es Blaukappe war, eine solche Kriegserklärung an die Menschen schien mir für ihm etwas unspektakulär.
Die Menschen berichteten mir auch, dass es zusätzlich zu den Köpfen eine Notiz gegeben hatte – Sie stamme von einem der Männer aus dem Trupp, der behauptete, er würde bald ganz Awarnor unterwerfen. Für mich klingt das so, als wäre dieser Mann verrückt geworden, genau, wie die anderen Menschen Daimons. Er stand wohl unter dem Einfluss von Blaukappe.
Puck hetzte den Neuankömmlingen erst einmal eine Horde von Untoten auf den Hals. Er war richtig glücklich, dass seine Langeweile nun ein Ende hatte. Die Menschen waren von diesem Streich nicht sehr begeistert. Damals vermutete ich, dass es daran lag, dass sie eine lange Reise hatten und erschöpft waren, heute weiß ich, dass den meisten Menschen die Streiche Ronramars zu weit gehen.
Kaum hatte sich die Unruhe wieder gelegt, marschierte auf einmal ein weiterer Mensch in das Lager, begleitet von gut einem halben Dutzend Rattenmenschen.
Er schien... verwirrt. Nachdem er sich uns als Felton, Kaiser von Awarnor, vorgestellt hatte, verlangte er, dass alle Anwesenden sich vor ihm verneigten. Mir wurde sofort klar, dass dies der Letzte des Erkundungstrupps sein musste. Ebenso wusste ich, dass er Informationen haben würde, die für uns alle von großer Wichtigkeit sein würden.
Tatsächlich berichtete der Größenwahnsinnige, dass er seine unendliche Macht vom König der Ratten bekommen hätte und dass ihm bald ganz Awarnor gehören würde. Letztendlich erschlugen die Menschen den Verrückten und die Rattenmenschen, mir jedoch war nun noch mehr als vorher danach, mit Blaukappe zu sprechen.
Der Verrückte hatte erwähnt, dass die Rotkappen im Besitz der Anleitung zu einem magischen Ritual sein sollten, mit dem man Blaukappe herbeirufen konnte.
Heute weiß ich, dass für eine solche Beschwörung der Wahre Name von Nöten ist. Ich vermute aufgrund der weiteren Entwicklungen, dass das Ritual von damals eine Finte Blaukappes war, um uns in Sicherheit zu wiegen.
Die Menschen beschlossen also, mit den Rotkappen zu sprechen, was ich für eine wirklich gute Idee hielt. Wenn sie tatsächlich eine Möglichkeit kannten, mit Blaukappe in Verbindung zu treten, wären sie vielleicht dumm genug, sie den Menschen zu verraten.
Ich habe die Menschen an diesem Abend dann ihre eigenen Wege gehen lassen. Sie schienen zu wissen, was sie taten.
Nachts hallten dann mit einem Mal Schreie durch Daimon. Von weitem sah ich, wie einige der Menschen scheinbar grundlos zu Boden gingen, dann wieder der huschende Schatten. Mein Bruder war also zurückgekehrt und wütete wahllos unter dem Menschen. Ich konnte nicht mehr tun, als ihnen so gut es ging wieder auf die Beine zu helfen.
Am nächsten Tag sollte das Ritual durchgeführt werden, mit dem Blaukappe beschworen werden sollte. Es hatte die Menschen eine Menge Blut gekostet, bis die Rotkappen ihnen verraten hatten, wie es ging, doch dieses Opfer schien gering, wenn man bedachte, dass wir es vielleicht schaffen würden, Blaukappe etwas über seine Pläne zu entlocken.
Bevor wir beginnen konnten, gab es einige unschöne Zwischenfälle, einmal wusste Puck wieder einmal nicht, wann es Zeit war, seine Monster in der Höhle zu lassen, und dann vernichtete eine Menschenfrau eine der Kerzen, die zwingend notwendig waren, bevor sie spurlos verschwand.
Doch ich war nicht so weit gekommen, um mich von einer fehlenden Kerze aufhalten zu lassen, und schließlich konnten wir mit dem Ritual beginnen.
Die Magie Awarnors ist wirklich faszinierend, denn tatsächlich schaffte sie es, sowohl Blaukappe herbeizurufen, als auch ihn in dem Kreis festzuhalten, in dem er auftauchte.
Im Gegenzug für das Versprechen, ihn freizulassen, verriet er uns, dass er vorhatte, sich mit dem Namenlosen zu verbünden, um Awarnor zu unterwerfen. Er schien auf jeden Fall auf die Macht unseres Bruders angewiesen, da es wohl gewisse Hindernisse gab, die er allein nicht überwältigen konnte.
Nachdem wir ihn freigelassen hatten, beschlossen wir, dass wir zunächst den Namenlosen töten würden. Ohne ihn wäre Blaukappe erst einmal aufgehalten.
Da Puck einmal davon gesprochen hatte, dass er an einem Mittel arbeitete, das übernatürliche Schnelligkeit verleihen konnte, fragte ich ihn danach. Er hatte tatsächlich zwei Dosen dieses Trankes und er erklärte sich bereit, sie den Menschen zu geben, wenn diese zehn Aufgaben für ihn erledigen würden. Da ich weiß, wie stur mein Bruder sein kann, und da bis zur Dunkelheit noch genug Zeit war, ließ ich ihm seinen Spaß.
Die nächsten Stunden waren also gefüllt mit zahlreichen Streichen, Kämpfen und Rätseln und ich bekam das Gefühl, dass die Menschen meinen Bruder langsam lieb gewannen, obwohl er zeitweise doch recht garstig war.
Am Ende bekamen die Menschen nicht nur die Tränke, sondern sogar noch eine Waffe von Puck, von der er behauptete, dass sie, genauso, wie das Schwert, in dem Shaly steckte, in der Lage wäre, den Namenlosen zu verletzen. Ich fragte mich, was für ein Schwert dies sein könnte, doch Puck wollte es mir nicht verraten und so vertraute ich ihm einfach. Inzwischen weiß ich, dass es eines der legendären neun Schwerter gewesen sein muss. Ich frage mich, wo Puck es gefunden hat.
Da Torik es sich nicht zutraute, gegen den Namenlosen anzutreten, reichte er Shaly an einen anderen Menschen weiter, der, wie es der Zufall so wollte, Jurek hieß, vom Klang her der selbe Name wie der, den Salvatore sich in dieser Welt gegeben hat. Das schien mir damals schon ein gutes Omen und die Zukunft sollte mir zeigen, dass ich Recht hatte.
Wir warteten angespannt auf den Einbruch der Dunkelheit, immer Ausschau haltend nach einem verräterischen Schatten.
Schließlich tauchte er auf, doch dieses Mal hatten die Menschen ihm etwas entgegenzusetzen. Ich war wieder einmal in die Rolle des tatenlosen Zuschauers gedrängt, doch Jurek und der andere enttäuschten mich nicht.
Als der Namenlose schließlich zu Boden ging, tauchte dann plötzlich und selbst für mich vollkommen unerwartet Blaukappe auf. Er hetzte Rotkappen wie Rattenmenschen auf die Menschen und beugte sich dann über den Körper unseres toten Bruders.
Hätte ich in diesem Moment schneller reagiert, hätte ich sofort begriffen, was er dort tat, hätte das für uns einige Probleme weniger bedeutet, doch was geschehen ist, ist geschehen und es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen.
Ich stand jedenfalls einige Augenblicke einfach nur dort und verstand nicht richtig, was genau geschehen war. Ich hatte bereits zu Hause um den Namenlosen getrauert, und obwohl es hatte sein müssen, war es trotzdem schwer, ihn dort – tot – liegen zu sehen.
Als ich meine Fassung wiedergewonnen hatte, erhob Blaukappe sich wieder, brach in schallendes Gelächter aus und rief, dass er nun, wo er die Macht des Namenlosen in sich aufgenommen hatte, mit dem Zepter unserer Schwester mächtig genug wäre, ein Tor nach Ronramar zu schaffen und alle Rotkappen nach Awarnor zu führen. Dann verschwanden er und die Rotkappen im Wald, während die Ratten die Menschen davon abhielten, ihnen zu folgen.
Und ich stand nur da, sprachlos, und fragte mich, wann mein Bruder es gelernt hatte, mit List anstatt mit Gewalt vorzugehen.
Ich hatte wieder einmal versagt. Während die Menschen langsam bis gar nicht verstanden, was das,
was mein Bruder gesagt hatte, für sie bedeutete, machte ich mich daran, einen neuen Plan zu schmieden.
Meinetwegen sollte man mich später einen blinden Versager nennen, aber niemand würde jemals erzählen können, Madras hätte aufgegeben. Damals wusste ich noch nicht, dass dieser Gedanke es sein würde, der mir nach dem nächsten Rückschlag die Kraft geben würde, weiterzumachen.
Wir mussten Blaukappe folgen, soviel war sicher. Wir mussten verhindern, dass er einen Krieg nach Awarnor trägt, der die Menschen hinwegfegen würde.
Ich sprach mit Puck, ich sprach mit Shaly, ich sprach mit den Menschen. Sie alle erklärten sich dazu
bereit, Seite an Seite zu streiten, um Awarnor zu retten.
Durch ein weiteres Ritual befreiten wir Shaly aus dem Schwert.
Ich schickte die Menschen aus, Awarnor nach Salvatore zu durchkämmen, auf dass auch er uns zur Hilfe kommen würde.
Nun war es an Shaly, Puck und mir, es Blaukappe gleich zu tun, und ein Tor nach Ronramar zu schaffen. Nur, dass wir dafür kein mächtiges Zepter und die in einem Körper gebündelte Macht zweier Götter hatten. Blaukappe würde vor uns in Ronramar ankommen, soviel war sicher.
Doch bis er alle Rotkappen um sich gesammelt hatte, würde es dauern. Ronramar ist in Stücke zerbrochen und selbst mit der Macht, die er nun hatte, würde er dort keine Wunder vollbringen können.
Ich hoffte, nein, ich ging davon aus, dass wir genug Zeit haben würden, unser eigenes Tor zu schaffen.
Das größte Problem, dass sich uns bei der Erschaffung auftat, war, den richtigen Ort zu finden. Nach Daimon hatte uns ein magischer Sog geführt, doch um den Ort zu bestimmen, an dem wir in Ronramar ankommen, hatten wir keine solche Hilfe. Uns blieb also keine Wahl, als vorsichtig und durch Versuche den richtigen Platz zu finden.
Die ersten Versuche verliefen erfolglos und da es eine Menge Kraft kostet, eine Verbindung herzustellen, konnten wir auch nicht ohne Ruhephasen unendlich lange weitersuchen. Trotz des wenig ermutigenden Anfangs tat es gut, die Heimat zu spüren.
Die nächsten Monate waren geprägt von Fehlversuchen. Die Jahreszeiten kamen und gingen, doch wir kamen nicht voran.
Zumindest erfuhren wir irgendwann von einem großen Bruchstück, das einst zum Land der Renia gehört hatte. Auch Arsai sollte dort sein. Dort, so beschlossen wir, würden wir unser Portal errichten. Doch zuerst mussten wir diesen Ort finden.
Auf der Suche bekamen wir durch kurze Erkundungsausflüge weitere Informationen über das, was in Ronramar vor sich ging. Arsai befand sich ebenfalls auf dem Bruchstück, nach dem wir suchten, und kämpfte noch immer gegen Rotkappen und Dibbuk, die Hexenkönigin blieb verschwunden.
Dann endlich schafften wir es. Ich kann nicht genau sagen, wie wir nach so langer Suche unser Ziel erreichen konnten. Manch einer würde es vielleicht Zufall oder Glück nennen, doch ich spürte in mir, dass da noch irgendetwas anderes war – irgendetwas, das unserem Glück auf die Sprünge geholfen hatte.
Während ich mich noch über den Erfolg freute, überkam Shaly beim Anblick der vertrauten Welt und in dem Wissen, dass Arsai nicht weit sein konnte, eine solche Woge brennenden Hasses, dass sie an Puck und mir vorbeistürmte und verschwand, bevor einer von uns auch nur Anstalten machen konnte, sie aufzuhalten. Natürlich hätten wir versuchen können, ihr zu folgen, auf der anderen Seite war es ihre Entscheidung und die musste ich akzeptieren, so gern ich sie auch im Kampf gegen Blaukappe an meiner Seite gewusst hätte. Wenn ich heute daran zurückdenke, wie wenig ich unternommen habe, um sie aufzuhalten, fühle ich mich schlecht. Shaly musste durch meine Untätigkeit ein schreckliches Schicksal durchleiden und könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich genau an diese Stelle gehen und meine Schwester retten.
Es dauerte noch eine Weile, bis das Portal stabil genug war, um eine große Menge Menschen nach Ronramar zu bringen, doch dann war es soweit.
Es war an der Zeit, die Helden Awarnors zusammenzurufen.
So viele folgten meinem Ruf. Ich hatte zwar gewusst, dass die Menschen mutig sind, doch dass eine solch beeindruckende Anzahl bereit sein würde, die eigene Welt zu verlassen, um gegen einen unglaublich mächtigen Feind zu streiten, damit hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.
Wir durchschritten das Portal, das Shaly, Puck und ich geschaffen hatten, und gelangten so zurück nach Ronramar. Von Shaly war keine Spur zu entdecken, was mich in diesem Moment aber noch nicht weiter beunruhigte. Ich war mir sicher, dass es ihr schon gut gehen würde. Hätte ich gewusst, wie sehr ich mich irrte, wären sicherlich einige Dinge anders verlaufen. Ich hätte andere Entscheidungen getroffen, doch nun, wo es zu spät ist, darüber zu sinnieren, was hätte sein können, möchte ich meine Zeit nicht damit verschwenden. Zeit ist für uns zu einem kostbaren Gut geworden. Wenn wir die Hexenkönigin aufhalten wollen, müssen wir uns dem Heute zuwenden und dürfen nicht am Gestern verzweifeln.
In Ronramar angekommen wurden wir sogleich von einigen Dibbuk und Rotkappen in Empfang genommen, die ihr gutes, altes „Wer zuerst die meisten Schnitte setzt“-Spiel spielten. Die Menschen teilten ihren Humor, wie ich es bereits aus Awarnor gewohnt war, leider nicht. Für Puck und mich war es ein überwältigendes Gefühl, wieder zu Hause zu sein, denn nach allem, was geschehen war, schien mir die Zeit, die ich fort war, schmerzhaft lang.
Der Splitter, auf den uns unser Portal führte, war ein Stück Land, das früher den Renia gehörte. Doch als wir es betraten, war nichts mehr zu sehen von den bunten Wiesen und den fröhlichen Wesen, die einst dort herumsprangen.
Alles war grau und tot. Zu sehen, was aus unserer wunderbaren Heimat geworden war, machte nicht nur mich, sondern auch meinen Bruder sehr unglücklich, auch, wenn die Freude über unsere Rückkehr zumindest am Anfang überwog.
Puck führte uns zu Arsais Residenz.
Die Wachen wollten mir zunächst nicht glauben, dass ich wirklich Madras war, der Feigling, den ihr Herr erschlagen hatte, doch mein Bruder erkannte mich selbstverständlich sofort, als er aus dem Haus trat. Zu meiner Freude versuchte er nicht, mich gleich noch einmal umzubringen.
Ich erklärte ihm, dass ich mit Helden aus einer anderen Welt gekommen war, die helfen wollten, Blaukappe zu besiegen. Arsai zweifelte an der Tauglichkeit meiner Begleiter, doch nachdem ich ihn darüber aufgeklärt hatte, dass einer von ihnen, Jurek, maßgeblich daran beteiligt gewesen war, dass der Namenlose nicht länger unter uns weilt, weder in dieser, noch in einer anderen Welt, erklärte er sich bereit, uns aufzunehmen, wenn wir uns nützlich machten. Ich hatte nichts anderes erwartet. Arsai war nie jemand, der mildtätige Gaben verteilt.
Was mich überraschte, war die Tatsache, dass Vana nirgendwo in der Residenz anzutreffen war. Es gab zwar einige Baneth, doch von meiner Schwester keine Spur. Da ich jedoch spürte, dass ihr nichts zugestoßen war, begann ich damit, einige der Helden über die Geschichte des Krieges aufzuklären, der unsere Welt heimgesucht hatte. Besonders interessiert zeigte sich ein junger Mann namens Archas. Es tat gut, über das zu sprechen, was geschehen war, auch, wenn es noch immer schmerzte, besonders, wo ich nun die Zerstörung direkt vor Augen hatte, die unsere Magie angerichtet hatte.
Von Jurek sah ich an diesen Abend wenig; er und einige andere waren hauptsächlich damit beschäftigt, die unzähligen Rattenmenschen zu erschlagen, die Blaukappe mit nach Ronramar gebracht hatte und die sich dort scheinbar rasch zu einer regelrechten Plage entwickelt hatten.
Später am Abend zog dann ein Arsai meine Aufmerksamkeit auf sich, der sich um meine Begleiter herum drückte. Auf Anfrage erfuhr ich, dass er wohl der Kerkermeister war und immer wieder von der „gefangenen Schönheit“ sprach. Ich ließ einige der Helden weiter nachforschen, da ich vermutete, dass der Arsai von niemand anderem als meiner Schwester Vana sprach. Natürlich hätte ich auch selber direkt in den Kerker stürmen können, in Anbetracht von Arsais Reizbarkeit meine Person betreffend beschloss ich allerdings, dies vorerst zu unterlassen.
Die Helden schafften es in einem Atemzug herauszufinden, dass meine Schwester tatsächlich von Arsai eingesperrt worden war, und sie zu befreien. Aus den Dingen, die sie erzählte, konnte ich herauslesen, dass sie wohl versucht hatte, Arsai auf ihre ganz besondere Art zu beeinflussen, was ihm selbstverständlich missfallen hat.
Da Arsai sich bereits in seine Gemächer zurückgezogen hatte, blieb eine Konfrontation mit ihm an diesem Abend aus. Ich kann nicht sagen, dass ich unglücklich darüber war.
Vana ging es den Umständen entsprechend gut, selbstverständlich hatte die Gefangenschaft sie etwas aus der Bahn geworfen, doch die Bewunderung der Menschen ließ sie rasch wieder zu alter Größe aufblühen.
Ich beschloss, mich ebenfalls zurückzuziehen, schließlich lagen schwere Entscheidungen und ein harter Kampf vor uns.
Am nächsten Morgen bemerkte Arsai natürlich, dass Vana nicht mehr in seinem Kerker saß, sondern frei durch seine Residenz wanderte. Doch die Helden Awarnors hatten vorgesorgt und den Kerkermeister an Vanas Stelle im Kerker zurückgelassen. So hatte Arsai einen Sündenbock, den er für das Missgeschick hinrichten lassen konnte, und ich musste mir nicht noch eine gute Erklärung einfallen lassen. Vielleicht mag es etwas herzlos klingen, jedoch war es mir weitaus lieber, dass ein Arsai über die Klinge springen musste, als einer der Menschen, für deren Schutz ich mich verantwortlich fühlte.
Die Menschen zeigten wieder einmal ihren Scharfsinn, indem sie es schafften, meine magische Kugel zu finden, die ich vor meinem Tod in Ronramar versteckt hatte und zwar so, dass kein Auge aus dieser Welt sie würde sehen können, bevor sie wieder entdeckt wurde. Ohne mich selbst zu sehr loben zu wollen, muss ich doch sagen, dass dieser Zauber eine meiner besseren Ideen gewesen war.
Die Kugel zeigte mir, dass Blaukappe auf dem Weg zu uns war. Die Hexenkönigin konnte ich wie gewöhnlich nicht sehen und auch Shaly hatte es irgendwie geschafft, sich vor meinen Augen zu verbergen – jedenfalls dachte ich das damals noch.
Als ich Arsai mitteilte, dass unser Bruder mit seiner Streitmacht auf dem Weg war, berief er gleich nach dem Frühstück eine Versammlung ein, an der neben meinen anwesenden Geschwistern und mir auch noch einige Vertreter der Menschen, unter ihnen Jurek und Archas, teilnahmen.
Wir beratschlagten gerade, wie wir am besten gegen Blaukappe vorgehen sollten, der neben Rattenmenschen und Rotkappen auch noch das mächtige Zepter unserer Schwester, der Hexenkönigin, auf seiner Seite hatte, als mit einem Mal eben jene mitten im Raum stand, an ihrer Seite einige schwergerüstete Ansealy.
Sie ließ keinen von uns zu Wort kommen und unterbreitete uns ein Angebot: Sie würde für uns den übermächtigen Blaukappe töten, was für sie ein Kinderspiel sein würde, da sie den Dolch des Namenlosen besaß, wenn wir Arsai für sie aus dem Weg räumen würden.
So schnell, wie er gekommen war, endete der Spuk.
Während Arsai entrüstet war, dachte ich ernsthaft über das Angebot unserer Schwester nach. Doch wir konnten natürlich keine Entscheidung treffen, solange Arsai im Raum war und so brachte ich ihn mit einigen schmeichelnden Worten und der Versicherung, dass niemand hier so verrückt wäre, ihn sich tatsächlich zum Feind zu machen zu wollen, dazu, uns allein zu lassen.
Kaum war er gegangen, brach eine wilde Diskussion los. Wie erwartet gefiel Puck die Idee, Arsai zu beseitigen, ausgesprochen gut. Die beiden hatten sich nie richtig ausstehen können. Vana hingegen stimmte trotz der Dinge, die Arsai ihr angetan hatte, für ihn. Somit lag es nun an mir, eine Entscheidung zu treffen. Selten war mir eine Überlegung so schwer gefallen. Ja, Arsai hatte einen Krieg vom Zaun gebrochen und mich erschlagen, doch hatte er nicht immer nur das Richtige tun wollen?
Und so beschloss ich, die Entscheidung in die Hände derer zu legen, für die ihre Auswirkungen am stärksten zu spüren sein würden. Ronramar war verloren, doch als nächstes würde Blaukappe seine Finger nach Awarnor ausstrecken und wir hatten keine Möglichkeit, ihn zu besiegen. Arsai jedoch... – Nun, ich hatte noch einen Trumpf auf der Hand, den ich bereit war, auszuspielen, sollten die Menschen den Mut besitzen, sich gegen Arsai zu stellen.
Ich versicherte ihnen, die Hexenkönigin würde ihr Wort halten, schließlich lügt sie wie Arsai niemals.
Und die Menschen trafen wirklich den kühnen Entschluss, Arsai zu töten.
So erzählte ich ihnen von der Legende der neun Schwerter und davon, wie herausgefunden wurde, dass diese Geschichte wahr war.
Vor uns lagen Schwierigkeiten, schließlich mussten wir Arsai weiterhin vorspielen, mit ihm zusammen gegen die Hexenkönigin ziehen zu wollen, und gleichzeitig Waffen schmieden, die mächtiger waren, als wir Götter selber. Die legendären Waffen würden die Macht Ronramars und der neun Clans in sich tragen und alles, was den Frieden der Welt bedrohte, hinwegfegen. Jedenfalls hoffte ich das.
Da es bereits sechs Schwerter gab, die in den Jahrhunderten verschollen waren, konnten wir nur drei schmieden. Und so erwählten Vana, Puck und ich uns jeweils einen der awarnorischen Helden, dem wir unsere Kraft für den Kampf geben wollten.
Vanas Wahl fiel auf Archas, da dieser ihr weitaus mehr Respekt gezeigt hatte, als er rein durch ihre Zauberkraft gemusst hätte, Puck suchte sich ein Mädchen namens Irashaja aus, da er mit ihr besonders viel Spaß gehabt hatte. Meine Wahl fiel schließlich auf Jurek. Er hatte sich bereits in der Vergangenheit als treuer Freund und Verbündeter erwiesen, er hatte den Namenlosen erschlagen. Wenn ich schon einen Menschen in den harten Kampf gegen meinen Bruder schicken musste, dann sollte er es sein. Ich wusste, er würde nicht versagen.
Den anderen Menschen verrieten wir vorerst nichts von unserem Plan. Je weniger von ihnen gegenüber Arsai ein falsches Wort sagen konnten, desto besser.
Und so begannen die Menschen, die Dinge zu beschaffen, die wir für die Anfertigung der legendären Waffen brauchten. Den Stahl von Ansealy-Rüstungen und Dibbukdolchen. Den Stoff einer Rotkappen-Kappe, den ein Renia stehlen musste. Eine der Baneth wurde überredet, die Formen der Schwerter zu entwerfen. Der Arsaischmied fachte selbstverständlich sein Bara-Feuer an, schließlich dachte er, wir würden die Waffen gegen Blaukappe schmieden.
Nachdem die Schmiedearbeit vollbracht war, benetzte ein Noldor die Waffen mit seinem Blut und am Ende sprach der Haushofmeister, ein Eladrin, einen Segen über sie. Die neun Clans hatten Schwerter geschaffen, die das Schicksal einer Welt wenden konnten und an drei tapferen Menschen lag es nun, sie einzusetzen.
Doch während Blaukappe immer näher kam, mussten wir feststellen, dass er sich eine weitere Teufelei ausgedacht hatte. Er hatte es geschafft, das Siegel, dass Vana, Arsai, Shaly, Puck und ich damals über die Sei-Magie gelegt hatten, so zu verändern, dass seine Rotkappen auf einmal in der Lage waren, Sei-Magie gegen die anderen Clans auszuüben. Doch da die Rotkappen jedoch so übermütig waren, dass sie uns ihre zurückgewonnenen Fähigkeiten bereits lange vor Blaukappes Ankunft demonstrierten, blieb mir genug Zeit, Blaukappes Siegel aufzuspüren und Archas war es, der es durch ein Ritual zerstörte.
Ritual-Magie fasziniert mich. Mit der Sei-Magie lässt sich nichts Vergleichbares anstellen. Je mehr ich mit Archas darüber sprach, desto sicherer wurde ich mir, dass diese Art der Magie uns in Zukunft noch sehr nützlich sein würde...
Nachdem nun dieses Hindernis beseitigt war, wurde es Zeit, unseren Teil der Abmachung mit der Hexenkönigin zu erfüllen. Wir beschlossen gemeinsam, Arsai direkt herauszufordern. Einem ehrenhaften Duell würde er sich nicht entziehen können und er wusste nicht, dass wir eine, oder besser drei, Waffen gegen ihn hatten, deren Macht er sicherlich nicht einmal erahnen konnte.
Zuerst jedoch weihten wir die anderen Menschen in unseren Plan ein. An ihnen würde es liegen, gegen die Arsai zu kämpfen, während Jurek, Archas und Irashaja gegen meinen Bruder streiten würden.
Ich war nervös. Sollte unser Plan auffliegen, sollte Arsai bemerken, dass etwas nicht stimmte, dann würden wir am Ende des Tages nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen Blaukappe und die Hexenkönigin antreten müssen, ein Kampf, den wir in keinem Fall hätten gewinnen können. Ich hätte es nicht ertragen können, hätte ich die Menschen direkt in ihr Verderben geführt.
Ich verband meinen Geist mit dem Jureks, gab ihm alle Kraft, die ich entbehren konnte, und Vana und Puck taten bei Archas und Irashaja dasselbe.
Wo ich Sorgen hatte, war Jurek zuversichtlich. Er versicherte mir, dass er es schaffen würde; seine Sicherheit ließ auch meine Gedanken weniger düster werden. Arsai hatte die geballte Macht von neun Clans, drei Göttern und den Menschen gegen sich. Er konnte nicht gewinnen. Er durfte nicht gewinnen...
Und er gewann nicht. Wieder einmal sah ich einen meiner Brüder fallen und wieder tat es weh.
Doch wir hatten die richtige Entscheidung getroffen. Dachte ich...
Der Kampf hatte Vana, Puck und mich stark geschwächt. Es war mir immer klar gewesen, dass Arsai mehr Macht hatte, als ich, doch nun, wo sich das ganze Ausmaß seiner Stärke gezeigt hatte, musste ich feststellen, dass ich ihn unterschätzt hatte. Jurek blieb an meiner Seite, auch ihn hatte der Kampf viel Kraft gekostet.
Und so verbrachten wir einige Zeit mit angespanntem Warten. Puck verschwand nach einer Weile im Keller und kam mit drei Tränken zurück, die er nur für uns drei gebraut hatte. Was auch immer darin gewesen war, nachdem ich es getrunken hatte, ging es mir besser. Immer wieder sah ich in meine Kugel, doch Blaukappe bewegte sich quälend langsam voran. Arsai hatte mir vor vielen Jahren einmal gesagt, dass das härteste nicht die Schlacht an sich war, sondern das Warten darauf, wenn man nichts anderes mehr zu tun hatte, als dem Feind entgegen zu sehen. Er hatte Recht gehabt.
Dann marschierten Blaukappe, die Rotkappen und die Rattenmenschen auf. Von der Hexenkönigin keine Spur. Hatte sie uns belogen? Nein, das konnte sie nicht, doch sie ließ sich Zeit.
Als sie schließlich auftauchte, hätte ich sofort wissen müssen, dass etwas nicht stimmte. Diese tiefe Zufriedenheit auf ihrem Gesicht hätte nicht nur davon kommen können, dass sie endlich Arsai losgeworden war. Doch es war zu spät.
Sie hielt ihr Versprechen. Sie tötete Blaukappe, der nicht einmal die Möglichkeit hatte, sich zu wehren, so schnell stach sie mit dem Dolch des Namenlosen zu.
Und dann stürzte sie mich in eine Finsternis, der ich nur durch die grenzenlose Hoffnung und den Optimismus meiner menschlichen Verbündeten wieder hatte entkommen können.
Sie könne es kaum erwarten, uns die neue Shaly zu zeigen, sagte meine Schwester. Dann beugte sie sich über Blaukappe, nahm ihr Zepter an sich und verschwand in der Nacht.
Und ich konnte nicht mehr tun, als ihr taten- und vor allem fassungslos hinterher zu sehen.
Die Ratten und Rotkappen stürzten sich auf die Menschen, doch ich wandte dem Schlachtfeld den Rücken zu.
Sie hatte Shaly.
Ich hatte meine Schwester im Stich gelassen.
Ich hätte ihr sofort folgen sollen.
In der Residenz traf ich auf Vana. Erzählte ihr, dass die Hexenkönigin Shaly in ihrer Gewalt hatte. Und zum ersten Mal sah ich Vana ehrlich bestürzt.
Ich weiß nicht, wie lange ich sie tröstend in den Armen hielt, versuchte, meinen eigenen Schmerz zu unterdrücken, um den ihren zu schmälern.
Dann rief ich einen der Menschen zu mir. Wo Puck war, wollte ich wissen.
Er ging mit der Hexenkönigin, sagte der Mensch mir. Und da wäre mit einem Mal ein Brief aufgetaucht, der an mich gerichtet war.
„Sei mir gegrüßt, Bruder (oder sollte ich jetzt Schwester sagen?), Madras und wer von unserer liebenswürdigen Verwandtschaft sonst noch bei dir sein mag. Und seid auch ihr gegrüßt, ihr Helden Awarnors. Ich beglückwünsche euch zu eurem Sieg gegen Blaukappe, die alte Ratte. Doch leider muss ich euch mitteilen, dass noch schlimmeres auf euch zukommt. Es ist anmaßend, zu glauben, mit seiner Macht aus Versehen eine ganze Welt zerstört zu haben. Die Hexenkönigin sucht etwas, das im Inneren Ronramars verborgen lag. Und jetzt, wo Arsai aus dem Weg ist, kann sie ungestört danach suchen. Ich fürchte, wir werden uns auf einiges gefasst machen müssen. Sie hatte Kontakt zu einem Bewohner Awarnors. Und wenn sie bereit war, Ronramar zu opfern, glaube ich nicht, dass sie ihre Truppen für diese Welt sammelt... Ich bedaure, dass ich den Krieg nicht verhindern konnte, und hoffe, ihr verzeiht mein langes Fernbleiben, es gab viel zu tun. Doch schon bald kommt die Zeit, zu handeln. Komm nach Awarnor, in die Welt der Menschen, und suche mich dort, Madras. Wir haben viel zu besprechen. Frag einfach in den guten Tavernen nach Jurik Zito Noldor, dem wahren Nostrok, König der Karten und Freund der freien Völker. Dein Bruder Sal.“
Und ich fiel.
Shaly verloren. Puck ein Verräter. Die Hexenkönigin auf dem Weg nach Awarnor. Ich hatte Arsai, meinen Bruder, umsonst geopfert. Wieder einmal hatte Madras das getan, was er am besten konnte. Versagt. Eine weitere Welt dem Untergang preisgegeben. Konnte ich am Ende doch nichts anderes, als zu zerstören?
Bis zu diesem Tag wusste ich nicht, dass ich weinen konnte.
Madras, der Versager.
Ich suchte Jurek und fand ihn schließlich auf dem Schlachtfeld, wo er gerade die letzten Rattenmenschen erschlagen hatte. So glücklich und zufrieden sah er aus und ich musste ihm eine so niederschmetternde Nachricht überbringen.
Madras, der Versager.
Jurek laß den Brief. Und er stellte fest, dass er meinem Bruder Salvatore in Awarnor schon begegnet war. Auch Archas kam zu mir. Und aus den Worten der beiden, voller Mut, Tatendrang und vor allem Hoffnung auf ein gutes Ende, schöpfte ich neue Kraft. Wir würden nach Awarnor gehen, Salvatore finden und er würde einen Plan haben. Würde das Glück meines Bruders ausreichen, um meinen Hang zum Versagen auszugleichen?
Obgleich ich noch immer in Dunkelheit wanderte, ging mir ein Satz nicht aus dem Kopf, beherrschte meine Gedanken, treibt mich bis heute an.
Sie sollen mich Madras, den Versager nennen, doch niemals wird jemand sagen können, Madras hätte aufgegeben.
Wir blieben nicht mehr lange in Ronramar. Gleich am nächsten Tag führte ich die Menschen zurück in ihre Welt und bat sie, sich bereit zu halten. Ich würde ihre Hilfe brauchen.
Was mir Sorgen bereitete, als ich mich auf den Weg machte, Salvatore zu finden, war, dass Irashaja einen Bund mit Puck eingegangen war. Stand sie wirklich auf unserer Seite? Oder würde sie uns wie Puck verraten? Ich musste vorsichtig sein, soviel war klar.
Mein Weg führte mich von Taverne zu Taverne und die Wochen zogen ins Land. Der Winter in Awarnor endete und der Frühling brach an. Es war an dem Tag, als ich am Rand der Straße die ersten Schneeglöckchen und Krokusse entdeckte, als ich mit einem Mal etwas spürte, was mir zuerst unbekannt, dann aber schnell sehr vertraut vorkam. So lange hatte ich versucht, sie aufzuspüren, so lange hatte sie sich versteckt, nun fühlte ich ganz deutlich, dass die Hexenkönigin in Awarnor angekommen war. Und ich bemerkte noch etwas. Als ich mich auf sie konzentrierte, konnte ich noch etwas anderes hören – Stimmen, die mir vertraut waren. Irashaja, Clay, Halvor, Duncan. Menschen, die in Ronramar gewesen waren und sich tapfer geschlagen hatten. Die Stimmen kamen jedoch nicht aus der gleichen Quelle, wie die Macht der Hexenkönigin. Es war etwas anderes. Dann eine weiteres Aufblitzen von Macht, ein Rütteln am Gefüge der Magie. Es fühlte sich an, wie Ronramar. Es musste eines der Schwerter sein.
Ich sammelte all meine Kraft, um Irashaja zu erreichen. Nun würde sich zeigen, auf wessen Seite sie stand, doch während ich versuchte, ihr eine Nachricht zu schicken, fand ich mich plötzlich im Kopf von jemandem wieder, den ich nicht kannte.
Irashaja und die anderen waren nah und so fragte ich den überraschten Menschen, ob er sie kennen würde. Als er bejahte, bat ich ihn, ihr mitzuteilen, dass eines der legendären Schwerter, aber auch etwas, das sich anfühlte, wie die Hexenkönigin, ganz in ihrer Nähe war.
Der Mensch schien kein Wort zu verstehen, was ich ihm nicht verübeln konnte, doch ich hatte keine Zeit, ihm alles zu erklären. Es fällt mir immer schwerer, Verbindung mit Menschen aufzunehmen, die weit von mir entfernt sind. Er versicherte mir, dass er Irashaja die Nachricht überbringen würde.
Ich zog mich also zurück und hoffte inständig, dass Irashaja nicht auf Pucks Seite stand.
Wenig später erlosch das Gefühl, doch ich war nicht in der Lage, noch einmal mit dem Menschen Kontakt aufzunehmen. Doch ich wusste, dass ich früher oder später schon erfahren würde, was geschehen war, egal, ob sich die Sache nun zum Guten oder zum Schlechten entwickelt hatte.
Ich reiste also weiter, immer auf Salvatores Spur, doch jedes Mal kam ich einige Tage zu spät.
Allerdings tat sich mir langsam der Verdacht auf, dass mein Bruder mich an einen ganz bestimmten Ort führen wollte.
In einer lauen Sommernacht, die ich in einer sehr angenehmen Taverne verbrachte, sprach Vana im Traum zu mir. Sie hatte ein weiteres legendäres Schwert finden können, das Blaukappe wohl auf einem Weltensplitter Ronramars versteckt hatte. Mir war klar, dass ich diese Waffe an mich bringen musste, bevor die Hexenkönigin es tun konnte, und so nahm ich Vanas Angebot, mir beim Übertritt zurück nach Ronramar zu helfen, dankend an. Auch versuchte ich, so viele der awarnorischen Helden zusammenzurufen, wie es mir möglich war, doch nur drei tauchten dort auf, wo Vana und ich den Übergang geschaffen hatten – Irashaja und zwei, die mir noch nicht bekannt waren, und sich als Frederico und Rokvir vorstellten. Sie waren Bekannte Irashajas.
Zusammen reisten wir nach Ronramar und mussten schon bald feststellen, dass der Weg zum Versteck des Schwertes von Rattenmenschen bewacht wurde. Zunächst schien alles normal, doch dann trafen wir auf welche, die gegen jede Art von magischer Beeinflussung immun zu sein schienen. Außerdem trugen sie ein seltsames Symbol auf der Stirn, eine Art Auge. Irashaja erinnerte sich, dass sie das Zeichen schon einmal gesehen hatte – als das Schwert in Awarnor aufgetaucht war. Sie berichtete mir, dass ein Mann mit einem seltsamen Begleiter hinter ihm her gewesen war und demjenigen, der ihm das Schwert aushändigt, viel Geld geboten hat. Da der Mensch, mit dem ich damals gesprochen hatte, meine Informationen wohl nur stückweise weitergegeben hatte, hatten Irashaja und die anderen den Ernst der Situation verkannt und so war der Fremde mit dem Schwert von dannen gezogen. Ich frage mich, ob er wohl ein Diener der Hexenkönigin war, oder ob noch andere Mächte am Werk sind...
Später auf unserem Weg trafen wir auf einen Rattenmenschen, der schwer verletzt am Wegesrand lag. Er berichtete, dass es „die Anderen“ gewesen seien, die ihn so zugerichtet hatten. Er konnte mir jedoch auch nicht erklären, was es mit dem Symbol auf sich hatte, nur, dass seine Rattenbrüder mit einem Mal angefangen hatten, sich seltsam zu verhalten.
Als Dank dafür, dass wir ihn am Leben ließen und seine Wunden versorgten, versprach er, uns zu dem Ort zu führen, den Blaukappe ihm und seinen Artgenossen zu bewachen befohlen hatte. Bevor wir jedoch dort ankamen, wurden wir erneut angegriffen und der Rattenmensch floh, sodass wir den Rest des Weges allein finden mussten.
Ich versuchte also, das Schwert zu spüren, fand jedoch nur etwas anderes – etwas vertrautes, mit dem ich überall, aber nicht dort gerechnet hätte. Die Älteste der Eladrin. Ein mächtiges und weises Orakel, vermutlich so alt, wie Ronramar selbst. Viel weiß ich nicht über sie, nur, dass sie bereits da war, als meine Geschwister und ich nach Ronramar kamen, dass sie selten anders spricht, als in Rätseln, diese aber früher oder später immer Sinn machen.
Ich war aufgeregt. Was konnte es bedeuten, dass sie nun hier auftauchte, auf einem winzigen Splitter der Welt, so nah bei einem der legendären Schwerter?
Wir fanden sie und sie schien uns erwartet zu haben. Sie sagte, sie wüsste, nach was wir suchen. Dem Schlüssel.
„Die Reisenden müssen sich gegenüber den Alten Wächtern als würdig erweisen. Der Suchende muss sich gegenüber den Reisenden als würdig erweisen.“
Obwohl ich nicht wusste, nach was sie uns suchen lassen wollte, war ich mir sicher, dass es etwas von Bedeutung sein musste. Sie sagte, ich würde den Weg schon finden, und so ließ ich mich allein von meiner Intuition leiten. Wir kamen auf eine Lichtung und dort lehnte an einem Baum ein Gegenstand, den ich verloren geglaubt hatte. Der Stab aus dem Holz des Ewigbaumes, ein Geschenk, dass die Eladrin mir einst gemacht hatten. Ich hatte geglaubt, dass er in Arsais Kamin gelandet war, doch scheinbar hatten die Eladrin es geschafft, ihn zu retten.
Vor dem Stab jedoch standen Wesen, die ich noch nie gesehen hatte. In all den Jahren, die ich durch Ronramar gereist war, hatte ich nie von etwas derartigem gehört. Sie sahen aus, wie Sträucher oder auch moosbewachsene Steine, doch sie bewegten sich. Und sie ließen weder mich, noch einen meiner Begleiter zu dem Stab. Das mussten die Alten Wächter sein. Doch wer musste sich vor ihnen wie als würdig erweisen?
Nachdem wir die verschiedensten Dinge ausprobiert hatten, knieten die drei Menschen schließlich vor den Alten Wächtern nieder und diese machten den Weg frei. Ich weiß nicht, ob es nur die Geste war, oder etwas anderes, was sie in den Augen der Baumwesen „würdig“ gemacht hatte.
Doch wer sollte den Stab nun bekommen? Ich sollte es sein, sagte Irashaja, und das war der Moment, in dem ich wirklich endgültig beschloss, ihr zu vertrauen. Selbst, wenn sie nicht ganz verstehen konnte, was dieser Stab für mich bedeutete, stünde sie auf Pucks Seite, hätte sie ihn mir niemals gegeben.
Wir kehrten zum Orakel zurück und sie gab uns neben der Richtung, in der wir das Schwert suchen mussten, auch einen letzten Rat mit auf den Weg: „Was zuletzt kam, muss auch zuletzt gehen“.
Dann verließ sie uns, wobei sie versprach, wir würden uns wiedersehen, wenn alles verloren scheinen würde.
Während wir uns auf den Weg zum Versteck des Schwertes machten, überlegten wir, was sie mit ihren Worten gemeint haben könnte, und kamen schnell zu dem Schluss, dass damit die Hexenkönigin gemeint sein musste. Sie ist die jüngste der Neun. Sie kam zuletzt. Die Erkenntnis, dass alle meine Geschwister und auch ich wohl sterben mussten, bevor sie vernichtet werden konnte, traf mich weniger hart, als ich es gedacht hätte. Wenn es nötig ist, dass ich dieses Opfer bringe, um Awarnor zu schützen, dann werde ich es mit Freuden tun.
An dem Ort, an dem das Schwert versteckt war, erwarteten uns einige der seltsamen Rattenmenschen und einer von ihnen versuchte sogar, mit der Waffe zu fliehen, doch er kam nicht weit.
Ich gab das Schwert in die Obhut Irashajas, vielleicht, um mich bei ihr für mein Misstrauen zu entschuldigen, vielleicht, weil ich die anderen beiden nicht so lange kannte, wie sie.
Außerdem bekamen alle drei ein Stück Ferrum, denn es hatte sich herausgestellt, dass ich nur mit dem Menschen hatte sprechen können, weil er ein Stück eben dieses Metalls gefunden hatte.
Scheinbar ist es für mich einfacher, über diesen winzigen Teil der Welt, die ich so liebe, Kontakt zu einem menschlichen Geist aufzunehmen.
Irashaja, Rokvir und Frederico versicherten, dass sie zu Stelle sein würden, wenn es daran ging, den Plan, von dem Salvatore in seinem Brief geschrieben hatte, in die Tat umzusetzen und so reisten wir zurück nach Awarnor, wo sich unsere Wege wieder trennten.
Ich wandte mich der nächsten Taverne zu, sie waren unterwegs, um Nostrok, dem mächtigen Zauberer, zu helfen, der wohl irgendwie in der Klemme steckte.
Während die Tage wieder kürzer wurden und herbstliche Winde zu wehen begannen, wurde mir mehr und mehr klar, wohin Salvatores Spur führte. Er wollte mich dort treffen, wo alles seinen Anfang genommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir noch keinen Reim darauf machen, was mein Bruder bezweckte, aber dass es sicherlich kein Zufall war, wusste ich bereits damals.
Nun, da ich mein Ziel kannte, kam ich schneller voran. Allerdings stellte sich mit der Zeit auch das Gefühl ein, dass mich irgendjemand beobachtete. Die Macht der Hexenkönigin lag überall in der Luft, als hätte sie Awarnor längst eingesponnen, und dies machte es mir unmöglich, im magischen Gefüge nach der kleinen Spur zu suchen, die ein von ihr geschickter Verfolger vielleicht hinterlassen hätte. Sie würde ebenso wie ich verstehen, wohin der Weg führt, und ich hoffte, sie würde Salvatore nicht vor mir erreichen.
Der Ort, an dem mich Sal traf, hatte sich verändert in all den Jahren. Früher war hier nichts als Wald gewesen, doch nun gab es dieses Gasthaus, von dem es hieß, es würde dort spuken und der Grund, auf dem es stand, wäre der Schauplatz von allerlei düsteren Verbrechen gewesen. Ich konnte nur lächeln, als der Wirt mir mein Zimmer zeigte und derlei Geschichten erzählte. Er weiß gar nichts, doch eine Taverne zu schaffen, deren Reiz das Unheimliche ist, das ist ihm gelungen.
Ich traf Salvatore im Schankraum, wo er aus einem großen Krug trank. Er hatte sich kaum verändert, allerdings glaubte ich, sogar auf seinem Gesicht den Schatten von etwas wie Sorge zu erkennen. Vielleicht lag es aber auch einfach am Licht, denn als er mir seinen Plan erklärte, war er zuversichtlich, wie ich ihn kannte.
Die Ritual-Magie, die mich so sehr fasziniert, soll der Schlüssel sein. Mit ihr, und mit Hilfe eines mächtigen, Wahren Namens, den wir genau an diesem Ort finden sollten, würde es möglich sein, die Hexenkönigin herbeizurufen und zu fesseln, lange genug, um es den Helden Awarnors möglich zu machen, sie mit Hilfe der legendären Schwerter zu erschlagen. Allerdings, räumte Salvatore ein, würden wir wohl alle neun brauchen, was heißt, dass einiges an Arbeit auf uns zukommt.
Zwei Schwerter besaß Irashaja zu diesem Zeitpunkt, eines Archas. Vier waren weiterhin verschollen, das Schwert, das Jurek gegen Arsai geführt hatte, wurde von Puck gestohlen, und das letzte, das ich noch vor so kurzer Zeit in Awarnor gespürt hatte, befindet sich entweder in der Hand der Hexenkönigin oder der einer anderen, unbekannten Fraktion.
Wir hatten viel zu tun, doch ich war mir sicher, dass es gelingen würde. Warum? Ich bin mir nicht sicher. Doch was sollte schon schiefgehen, mit Menschen wie Jurek und Irashaja, Archas und all den anderen an unserer Seite? Ich zweifelte nicht, denn Zweifel hätten uns geschwächt. Damals wie heute bin ich überzeugt davon, dass die Hexenkönigin am Ende fallen wird.
Nach unserem Ruf dauerte es nicht lange, bis die ersten Menschen in der Schenke eintrafen.
Mit unter den ersten waren Irashaja, Frederico und Rokvir. Ich stellte ihnen Salvatore vor und da auch viele gekommen waren, die die Vorgeschichte gar nicht so genau kannten, begannen wir, die Menschen ins Bild zu setzen und Salvatores Plan zu erläutern.
Tatsächlich hatte mein Bruder uns an den Ort geführt, an dem alles vor mehr als 800 Jahren seinen Anfang genommen hatte. Diese Taverne war auf den Überresten des Ortes gebaut worden, an dem meine Geschwister und ich einst geschaffen wurden.
Und hier, so hatte Salvatore es herausgefunden, gab es die Möglichkeit, den Wahren Namen eines jeden von uns herauszufinden. Jeweils an den Eckpunkten eines riesigen Nonagramms gelegen, gibt es neun Reliefs und jedes von ihnen ist einem von uns zugeordnet. Jedes von ihnen enthält einen Wahren Namen. Salvatore sprach von Prüfungen, die bestanden werden mussten, um sich ihrer würdig zu erweisen, doch ich zweifelte nicht an der Klugheit und dem Mut derer, die mir folgten.
Später am Abend trafen dann auch Jurek und Archas ein. Beide waren fest entschlossen, den Wahren Namen der Hexenkönigin zu finden und so beschlossen wir, gleich am nächsten Morgen aufzubrechen und nach ihrem Relief zu suchen.
Während ich den Menschen weiter von Ronramar erzählte, trat Irashaja an mich heran und sagte, es gäbe da jemanden, der mich sprechen wollte. Ich folgte ihr in den zweiten Raum der Taverne.
Obwohl ich Nostrok niemals vorher begegnet war, erkannte ich ihn sofort. Und ich bekam Angst. Was könnte er, der über Awarnor wachte und sich stets allen Gefahren, die diese Welt bedrohten, in den Weg stellte, von mir wollen?
Er kannte die wahre Natur der neun Geschwister, dessen war ich mir sicher.
Er würde wissen, dass wir vor vielen Jahrhunderten von einem der Erzbösen, die Awarnor heimsuchten und Tod und Zerstörung brachten, geschaffen wurden, um ihm zu dienen. Um ihm die Seelen Unschuldiger zu beschaffen und so seine Macht zu stärken.
Denn das ist es, was wir einst waren – Dämonen, böse Kreaturen, getrieben von der Gier nach menschlichen Seelen.
Erst, als unser Vater fiel, und wir frei waren, kamen wir auf der Flucht nach Ronramar. Erst in Ronramar wurden wir zu Göttern, denn die Clans fürchteten uns nicht, sie verehrten uns.
Und so kam es, dass die meisten von uns über die Jahrhunderte ihre Bosheit ablegten.
Ich bin mir sicher, dass ich keine Gefahr für Awarnor darstelle. Doch würde Nostrok das glauben? Oder würde er mich in die Dunkelheit zurückschicken, aus der ich einst gekommen war?
Doch zum Weglaufen war es zu spät und so beschloss ich, es Irashaja gleichzutun – Ich beschloss, Nostrok zu vertrauen.
Er bat Salvatore und mich an seinen Tisch.
Dann erklärte er, dass er schon viel von mir gehört hätte und es ihm eine Freude wäre, mich endlich persönlich zu treffen.
Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs, das sich hauptsächlich um die Bedrohungen durch die Schattenweberin Arkasha und die Hexenkönigin, denen Awarnor sich entgegengestellt sah, drehte, versicherte ich ihm, dass meine Beweggründe obgleich dessen, als das ich geschaffen wurde, ehrenhaft wären und für mich einzig und allein zählte, dass Awarnor außer Gefahr gebracht würde.
Und Nostrok glaubte mir tatsächlich. Ich war erleichtert. Es tat sehr gut, von dem, der seit Ewigkeiten über Awarnor wachte, als Verbündeter angesehen zu werden, und nicht als Feind, den es
zu vernichten galt.
Während wir dort saßen und uns unterhielten, gab es am Eingang der Taverne mit einem Mal Unruhe. Irashaja, Nostrok, Salvatore und ich gingen hinaus, um den Grund dafür herauszufinden und sahen uns einer bizarren Gruppe gegenüber: Da stand ein Elb neben einem Ork, Agensteiner, die eigentlich den Bund von Awarnor gegen die Schattenweberin unterzeichnet hatten, neben Schattenkultisten. Schweigend und in völliger Einheit griffen sie uns an.
Irashaja war außer sich ob des scheinbaren Verrats ihrer Verbündeten und auch Nostrok zeigte sich beunruhigt.
Die Menschen schlugen den Angriff zurück und als wir die Leichen untersuchten, stießen wir auf ein uns wohlbekanntes Zeichen: Das violette Auge, das auch die seltsamen Rattenmenschen auf unserer Reise nach Ronramar getragen hatten.
Wir kamen schnell zu dem Schluss, dass die Träger dieses Zeichens nicht mehr Herren ihrer Sinne sein konnten, anders war es nicht zu erklären, dass mit einem Mal Feinde nebeneinander stritten. Da Gedankenmanipulation hervorragend zum Stil der Hexenkönigin passt, fürchtete ich, wie wir später erfahren sollten, nicht zu Unrecht, dass dies eine neue Teufelei ihrerseits war.
Nostrok verabschiedete sich bald, er wollte den Zirkel der Magier über die neuesten Entwicklungen informieren.
Den ganzen Abend über folgten weitere Angriffe der Kontrollierten. Die Menschen fanden schnell einen Namen für sie: Puppen. Da sie ohne einen Plan oder eine Schlachtordnung angriffen, waren sie recht einfach zurückzuschlagen.
Angesichts dieser Entwicklung mussten wir nun befürchten, bei der Beschaffung des Wahren Namens der Hexenkönigin auf erheblichen Widerstand zu stoßen. Doch keiner von uns dachte auch nur daran, sich aufhalten zu lassen.
Am nächsten Morgen standen wir alle früh auf, um uns an die vor uns stehende Aufgabe zu machen. Es galt nun, das Relief der Hexenkönigin zu finden.
Auf einer Karte zeichneten Salvatore und ich die Positionen unserer Reliefs ein, da wir wussten, dass die neun Reliefs miteinander verbunden ein Nonagramm bilden würden, war es so möglich, auch die anderen zu lokalisieren.
Einige Menschen berichteten, dass sie einen Traum hatten, in dem Vana zu ihnen sprach, und ihnen zeigte, wo sich ihr Relief befand. Salvatore sagte, wir könnten gleich ausprobieren, ob der Name wirklich taugte, um sie herbeizurufen. Mir gefiel die Idee, schließlich herrschte in Ronramar noch immer Krieg und ich machte mir Sorgen um Vana, die allein dort zurückgeblieben war.
Die Träumer zeigten uns den Weg zum Relief. Während wir noch rätselten, was genau wir nun tun mussten, um den Wahren Namen zu bekommen, tauchte mit einem Mal eine Gestalt mit Hörnern auf. Sie stellte sich als Wächterin dieses Ortes vor, die die Aufgabe hatte, sich um die Prüfungen der Wahren Namen zu kümmern.
Bevor wir die Aufgabe für Vanas Wahren Namen lösen konnten, mussten wir eine Kugel, die in einer Vertiefung im Relief lag, in die Mitte des Nonagramms bringen, wo die Wächterin eine Kerze entzündete und erklärte, dass die Aufgabe beginnen würde, sobald diese bis zu einer Markierung herunter gebrannt war.
Während wir also warteten, wurden wir wieder von Puppen angegriffen. Sie schienen den Platz um Vanas Relief erobern zu wollen, doch die Helden Awarnors ließen dies selbstverständlich nicht zu.
Die Kerze brannte herunter und die Wächterin offenbarte uns die Aufgabe: Wir mussten die Gegend um das Relief so schmücken, dass es Vana gefallen würde.
Wer meine Schwester kennt, weiß, dass dies kein einfacher Auftrag war. Meine Begleiter durchstöberten die herbstliche Umgebung nach Blumen, legten Muster aus Sand, farbigen Steinen und Ferrum und zündeten Kerzen an. Dann begann das Relief mit einem Mal zu leuchten und auf dem Stein wurden Zeichen sichtbar – Zeichen, die mir schrecklich vertraut waren, deren Bedeutung ich allerdings vergessen hatte.
So sehr ich meine Erinnerungen durchsuchte, es wollte mir nicht gelingen, die Schrift zu entziffern. Es waren böse, dämonische Zeichen, die ich mitsamt meines früheren Daseins weit in den Tiefen meiner Erinnerungen vergraben hatte. Dort, das wusste ich, schlummerten Dinge, die dort bleiben mussten.
Und doch musste ich mich erinnern. Ohne den Wahren Namen würden wir nichts gegen die Hexenkönigin ausrichten können. So traf ich die Entscheidung, einige meiner Verbündeten nach der Erinnerung suchen zu lassen. Ich selber würde nicht an den Ort kommen, an dem sie versteckt war, dafür hatte ich gesorgt.
Jurek meldete sich freiwillig für die gefährliche Reise in meinen Geist, ebenso Inara, eine Feuermagierin und Bekannte Irashajas. Auch Irashaja wollte dabei sein, doch auf ihrem Gesicht sah ich Zweifel.
Ich fragte sie, ob sie etwas bedrückte und sie berichtete mir, dass sie in der letzten Nacht einen Traum von Puck gehabt hatte. Er hatte nicht viel gesagt, doch es war etwas sehr seltsames geschehen: Im Traum hatte Puck ihr einen Kelch gezeigt und gesagt, sie würde schon wissen, wofür er gut sei, wenn die Zeit gekommen war. Eben dieser Kelch hatte nach dem Aufwachen neben ihrem Bett gestanden.
Ich ließ mir den Kelch zeigen, da ich einen Verdacht hatte, und er wurde bestätigt: Es war einer der Kelche, aus denen wir neun damals getrunken haben, als wir uns schworen, unsere dämonischen Wesen für immer abzulegen.
Ich wusste auch, dass Salvatore Vanas, seinen und meinen Kelch dabei hatte und später am Tag auf unser neues Bündnis anstoßen wollte.
Schickte Puck uns ein Zeichen? War er doch kein Verräter? Oder wollte er uns in die Irre führen? Auch die Tatsache, dass er so leicht in Irashajas Träume hatte eindringen können, bereitete mir Sorgen.
Sollte ich sie in meine Gedanken lassen und so riskieren, Puck ebenfalls Zutritt zu gewähren? Doch ich hatte beschlossen, Irashaja zu vertrauen, und so bat ich sie nur, es sofort zu sagen, sollte ihr etwas seltsam vorkommen.
Pucks Macht mag größer sein, als die meine, doch auf der Geistesebene bin ich stärker als er, da bin ich mir sicher.
Ich öffnete meinen Geist für meine Verbündeten. Sie berichteten mir später, sie hätten dort einen großen Raum vorgefunden, ähnlich einer Bibliothek, düster und staubig, doch statt Büchern hatten in meterhohen Regalen Kisten gestanden, große, kleine, alte, neue.
Die ersten waren offen gewesen und sie hatten dort Dinge gesehen, die vor gar nicht allzu langer Zeit geschehen waren, doch als sie weiter in die Dunkelheit vordrangen, waren immer mehr Kisten verschlossen gewesen.
Irgendwo, in einer dunklen Ecke hatten sie dann eine schwarze Kiste mit angelaufenen Beschlägen entdeckt, für die es scheinbar nirgendwo einen Schlüssel gab. Erst nach langer Suche fanden sie ihn in einer Mauerlücke und als sie die Kiste öffneten, waberte darin nur schwarze Dunkelheit, aus der Schreie und böse Stimmen herausklangen.
Jurek wagte es schließlich, in die Schwärze zu greifen.
Das muss der Moment gewesen sein, in dem die Erinnerungen hervorbrachen und mich beinahe zu Boden warfen.
Ich war einige Augenblicke wie erstarrt. So viel hatte ich verdrängt, weggesperrt, und nun kam alles zurück. Doch ich schaffte es, stark zu bleiben.
Als ich die Zeichen von Vanas Relief betrachtete, ergaben sie Sinn. Ich möchte den Wahren Namen meiner Schwester an dieser Stelle nicht niederschreiben, da ich vorhabe, Abschriften von diesem Bericht anfertigen zu lassen, damit möglichst viele Bewohner Awarnors ihn lesen können, und ich so nicht wissen kann, wem er letztendlich in die Hände fällt.
Wir gingen zurück zu den anderen, die inzwischen eine weitere Kerze hatten anzünden lassen. Wir konnten nicht sagen, welches Relief zur Hexenkönigin gehört, da sie alle gleich aussehen, und so mussten wir einfach probieren und an der Aufgabe erkennen, zu wem der neun der Stein gehört. Mit dem Wahren Namen Vanas führte ein Elb ein Ritual durch, um sie zu rufen. Er übte eine Art von Magie aus, die einige der Menschen „Blutmagie“ nannten.
Für mich klang das nicht nach etwas, mit dem es möglich sein sollte, ausgerechnet Vana herbeizuholen, doch ich wurde eines besseren belehrt.
Inmitten der zusammengebrochenen Ritualunterstützer stand mit einem Mal meine Schwester, so schön, wie immer, jedoch äußerst ungehalten, dass es so lange gedauert hatte.
Als die nächste Kerze heruntergebrannt war, tauchte am Relief ein Wesen auf, das aus nichts als einer Rüstung und einer Waffe zu bestehen schien.
Es erklärte, dass wir es in einem gerechten Kampf besiegen müssten, um den Wahren Namen zu bekommen, der zu diesem Relief gehört. Wir schlossen daraus, dass wir Arsais Relief gefunden hatten.
Bevor wir jedoch entscheiden konnten, wer sich diesem gerechten Kampf stellen sollte, tauchte eine große Gruppe Puppen auf, doch sie schienen anders zu sein, als die vom Vortag. Unter ihnen war auch ein Arsai, der jedoch nichts mehr von dem hatte, was seinen Clan eigentlich auszeichnete. Er war ebenso eine seelenlose Puppe, wie die anderen.
Sie gingen planvoller vor und schafften es, uns zurückzudrängen. Während ich mein bestes tat, meine Verbündeten vor den Hieben der Feinde zu beschützen, fielen zwei in Rot gekleidete Personen
auf, die sich eher im Hintergrund der Schlacht hielten.
Die Menschen wagten einen Ausfall und versuchten, an sie heranzukommen, doch die Puppen schützten sie. Beide trugen ebenfalls ein violettes Zeichen auf der Stirn, doch es war kein einfaches Auge, wie bei den Puppen, sondern drei, die sich zu einem Symbol vereinten. Ihnen gelang die Flucht, während die Puppen ihren Rückzug deckten.
Kaum, dass die beiden verschwunden waren, fielen die Puppen zurück in das vom Vortag bekannte Verhalten. Wir schlossen daraus, dass die Rotgekleideten es waren, die sie kontrollieren, und die Menschen nannten sie Puppenspieler.
Nachdem der Kampf schließlich gewonnen war, wandten wir uns wieder der wandelnden Rüstung zu, die Arsais Wahren Namen bewachte.
Das Wesen war wie Arsai von seinen Fähigkeiten vollkommen überzeugt und forderte alle Anwesenden zum Kampf. Doch obwohl die Rüstung sich als ausgesprochen widerstandsfähig erwies, siegten am Ende die Menschen und wir bekamen einen weiteren Wahren Namen, wenn wir auch wenig mit ihm anfangen können, schließlich ist Arsai tot.
Während ich mich mit einigen meiner Begleiter beriet, wie wir nun weiter vorgehen sollten, wurden wir informiert, dass ein weiteres Relief gefunden worden war. Es schien jedoch durch eine leuchtende Kuppel geschützt zu sein.
Archas untersuchte sie und stellte fest, dass die Magie Awarnors und Ronramars verwoben worden war, um diese Kuppel zu schaffen.
Für uns ließ dies nur zwei Schlüsse zu: Entweder, wir hatten das Relief der Hexenkönigin gefunden, oder jemand versuchte, uns auf eine falsche Fährte zu locken.
Da wir in diesem Moment jedoch nichts ausrichten konnten, beschlossen wir, uns zunächst anderen Reliefs zuzuwenden.
Um die Mittagszeit entschied Salvatore, dass es Zeit sei, unser Bündnis gegen die Hexenkönigin zu besiegeln.
Er holte die Kelche hervor und schien kein bisschen überrascht zu sein, dass Irashaja ebenfalls einen in ihrem Besitz hatte.
Auf meine Frage, ob er zusammen mit Puck etwas planen würde, gab er mit keine aussagekräftige Antwort, ich solle abwarten und würde schon sehen.
Wir stießen an, wobei Irashaja Pucks Kelch benutzte.
Während wir uns noch über das unterhielten, was wir tun würden, nachdem wir den Wahren Namen der Hexenkönigin in Erfahrung gebracht hätten, gab es draußen einen Aufruhr.
Zunächst vermuteten wir wieder einen Puppenangriff, doch auf dem Vorplatz der Taverne standen keine seelenlosen Kämpfer, sondern Shaly.
Ich war unglaublich glücklich, meine Schwester gesund vor mir stehen zu sehen. Seit über einem Jahr war sie verschwunden gewesen und nach dem, was die Hexenkönigin in Ronramar gesagt hatte, hatte ich befürchtet, dass sie unaussprechliche Dinge mit unserer Schwester angestellt hätte.
Doch Shaly war dort und sie schien unversehrt.
Als sie zu sprechen begann, erkannte ich jedoch, dass sie alles andere als wohl auf war.
Shaly schrie und tobte, sie nannte mich einen Verräter und beschuldigte mich, sie getötet zu haben. Was ich auch versuchte, sie wollte mir nicht zuhören.
Jeder, der ihr zu nahe kam, bekam ihr Feuer zu spüren.
Uns war klar, dass wir etwas unternehmen mussten. Wir beschlossen, als nächstes das Relief zu lösen, das in der Nähe einer Feuerstelle gefunden worden war, da wir vermuteten, dass es das von Shaly ist. Vielleicht könnte ihr Wahrer Name uns helfen, sie wieder zur Besinnung zu bringen.
Als die Kerze heruntergebrannt war, überreichte uns die Wächterin ein leeres Blatt Papier. Zunächst wussten wir nicht, was wir damit anstellen sollten, doch Inara hatte schließlich die Idee, es über eine Kerzenflamme zu halten.
Als wir das taten, tauchten auf dem Papier mit einem Mal Worte auf. Es war die Anleitung für ein Ritual, mit dem man „Feuer und Flammen“ beschwören konnte. Um den Wahren Namen Shalys herauszufinden musste man das besiegen, was man gerufen hatte.
Inara leitete das Ritual. Sie schien wie besessen zu sein, Shalys Wahren Namen zu finden. Da sie mir erzählt hatte, dass der Orden, dem sie angehörte, das Feuer als heilig betrachtet, schien Shaly für sie so etwas wie ein feuriger Engel zu sein, dem geholfen werden musste.
Inara führte das Ritual gewissenhaft durch und dem Feuer, das in der Mitte brannte, entstieg ein Wesen, das nur aus Flammen zu bestehen schien.
Da sich niemand Gedanken darüber gemacht zu haben schien, wie genau man es denn besiegen sollte, brach Panik unter den Menschen aus – doch dann tauchte mit einem Mal Rokvir auf, in der Hand einen Eimer mit Wasser. Nachdem der erste Schwung das Feuerwesen verfehlte, traf der zweite und das Wesen verschwand. Rokvir beschloss, sich von nun an „der Feuerlöscher“ zu nennen.
Wir gingen zu Shalys Relief und dort leuchtete uns ihr Wahrer Name entgegen.
In Ermangelung an Ideen, was man noch tun könnte, um die Barriere um das vermutliche Relief der Hexenkönigin zu brechen, aktivierte Irashaja das nächste Relief. Sie wollte unbedingt Pucks Wahren Namen.
Das nächste, was ich sah, nachdem sie gegangen war, um die Aufgabe zu erhalten, war eine äußerst vergnügte Irashaja, die mit einem riesigen goldenen Ei in der Hand auf die Taverne zugerannt kam.
Die Aufgabe war gewesen, dieses Ei zu stehlen, während zwei Untote Wache standen, und Irashaja hatte es mit einigen Freunden geschafft.
So bekamen wir auch Pucks Wahren Namen, was mich sehr glücklich machte. Für den Fall, dass er irgendetwas gegen uns unternehmen sollte, hatten wir nun eine Waffe.
Während vor allem Archas und ich uns die Köpfe zerbrachen, wie wir die magische Kuppel zerstören könnten, kam die Wächterin des Nonagramms zu uns und teilte uns mit, dass jemand ein Relief aktiviert hätte.
Sofort machten sich einige von uns auf die Suche, denn es konnten nur die Puppenspieler gewesen sein, doch wir konnten niemanden finden, bis sich auf dem Vorplatz der Taverne ein bizarres Schauspiel ergab: Zunächst rannte eine schattenhafte Gestalt vorbei, wenig später folgte eine Gruppe Puppen, die alles um sich herum bis auf die Gestalt vollkommen ignorierte.
Noch zweimal kreuzte die seltsame Prozession den Vorplatz, dann war wieder Ruhe.
Wir schlossen, dass dies wohl die Reliefprüfung des Namenlosen gewesen sein musste, schließlich war er besonders für seine Schnelligkeit gefürchtet gewesen.
Die Wächterin wollte uns zunächst nicht verraten, wo wir das Relief finden konnten, doch einige sehr deutliche Worte meinerseits überzeugten sie schließlich doch.
Wir kamen also zum Relief des Namenlosen, wo bereits der Wahre Name leuchtete. Der Vollständigkeit halber notierten wir ihn uns, dann baten meine Begleiter mich, sie zu meinem Relief zu führen.
Ich tat es und einer der Menschen nahm die Kugel an sich – er wollte sicherstellen, dass unsere Feinde meinen Wahren Namen nicht bekommen würden, sagte er. Ich war in diesem Moment unheimlich gerührt von dem Vertrauen, das dieser Mensch in mich setzte und schwor mir nur einmal mehr, alles zu tun, um das Unheil von Awarnor fernzuhalten.
Nach diesem Ausflug in den Wald kehrte ich zu Archas und dem Problem mit der Kuppel zurück. Und Archas hatte inzwischen eine Lösung gefunden: Wir konnten die magischen Verflechtungen, die das Relief abschirmten, nicht auflösen, wohl aber zerstören.
Wir würden viel Kraft dafür brauchen, mehr als Archas oder ich hätten aufbringen können, doch, so erklärte Archas, gäbe es da eine Quelle ungezügelter Macht: Shaly.
Er entwickelte zusammen mit einigen anderen Magiern einen Bannkreis, der mit der Kuppel verbunden war. Shaly sollte in seine Mitte gelockt werden. Wenn sie dann versuchen würde, anzugreifen, würde all ihre Kraft in die Kuppel geleitet werden, die dadurch zerstört werden sollte.
Ich ließ Archas zurück, um andere Menschen zur Hilfe zu holen. Das war ein Fehler. Als ich zurückkam, war Archas spurlos verschwunden.
Ungefähr gleichzeitig wurden mir die Namen zweier weiterer Vermisster zugetragen: Inara, die Feuermagierin, und auch Jurek. Ich begann nun, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Die Puppenspieler oder noch schlimmer, die Hexenkönigin, mussten hier ihre Finger im Spiel haben. Ich fühlte mich, als hätte ich meine Freunde im Stich gelassen.
Doch ich konnte nichts tun. Alle drei waren verschwunden und auch Suchtrupps konnten sie nicht aufspüren. Also machten wir uns daran, die Kuppel zu zerstören.
Vana bot ihre Hilfe an. Sie würde es mit ihrer Magie schaffen, Shaly soweit zu besänftigen, dass sie in den Bannkreis treten würde, versprach sie.
Als Shaly dann auftauchte, lief alles, wie geplant.
Vana lockte sie in die Falle und Shaly tobte selbstverständlich. Die Kuppel brach und ich schöpfte Hoffnung.
Dann tat Salvatore etwas, was ich ihm niemals werde verzeihen können.
Während Vana und ich uns noch über unseren gelungenen Plan freuten, sammelte Salvatore die Menschen um sich, die legendäre Schwerter trugen, und gab ihnen den Auftrag, Shaly zu töten. Sie gehorchten sofort und so schnell, dass weder Vana noch ich etwas tun konnten.
Noch nie habe ich Vana so verzweifelt gesehen. Sie weinte und beteuerte, dass sie das nicht gewollt hatte.
Und ich wurde wütend. Ich wollte Salvatore zur Rede stellen, doch er zuckte nur die Schultern und meinte, man hätte Shaly sowieso nicht retten können, und es wäre besser so. Dann ließ er mich einfach stehen.
Ohnmächtig vor Wut und Trauer zog ich mich in die Taverne zurück. Stärker als der Verrat meines Bruders schmerzte mich, dass selbst Irashaja seinem Befehl sofort gefolgt war.
Ich fühlte mich von allen Seiten verraten, doch als ich mir Irashaja vorknöpfen wollte, saß sie bereits mit der Kerze für das Relief, das vermutlich den Wahren Namen der Hexenkönigin enthielt, in der Hand am Tisch. Sie klammerte sich daran und sie weinte. In diesem Moment konnte ich ihr nicht mehr böse sein, egal, was sie getan hatte. Aus welchem Grund auch immer sie Salvatore gehorcht hatte, sie bereute es zutiefst.
Ich setzte mich zu ihr und schweigend betrachteten wir, wie die Flamme sich der Markierung näherte. Die Stunde der Wahrheit war nah.
Kurz, bevor die Kerze heruntergebrannt war, spürte ich, dass sie da war. Die Hexenkönigin selber näherte sich und das konnte nur eines bedeuten: Das Relief mit der Kuppel war das richtige. Sie kam, um uns davon abzuhalten, ihren Wahren Namen herauszufinden.
Meine Schwester marschierte mit gewohnter Arroganz auf, an ihrer Seite einzig und allein zwei Ansealy.
Und noch jemand war da, doch das bemerkte ich viel zu spät.
Puck tauchte aus dem Nichts auf. Die Hexenkönigin fragte ihn, was genau er da tun würde, er antwortete, er würde ihren Auftrag ausführen. Er zückte den Dolch des Namenlosen und tötete Vana. Dann verschwand er wieder. Und alle Hoffnung, dass er uns vielleicht doch nicht verraten hatte, war dahin.
In meinem Schmerz bemerkte ich nicht einmal, wie die Hexenkönigin verschwand und den Ansealy das Schlachtfeld überließ.
Die beiden schwer gerüsteten Krieger schnitten durch die Menschen wie eine Sense durch reifes Korn.
Und Irashaja war nirgends zu finden. Ich rief nach ihr, suchte sie, doch sie blieb verschwunden.
Dann marschierten die Puppenspieler auf.
Dieses Mal waren es drei, die beiden, die früher am Tag entkommen waren, und eine dritte – die Schankmaid aus der Taverne. Sie musste alles gehört haben, das wir besprochen hatten. Alle Wahren Namen, alle Pläne – der Feind wusste davon.
Und sie hatte noch etwas getan. In der Schlachtreihe der Puppen entdeckte ich schnell drei bekannte Gesichter. Inara, Archas, Jurek. Alle drei ebenso teilnahmslos, wie die seelenlosen Geschöpfe neben ihnen.
Sie griffen an.
Ich schrie, ich flehte – doch keines meiner Worte drang zu ihnen durch. Als ich Jurek gegenüber stand und er mit seinem Streithammer zuschlug, tat der Gedanke, meinen Freund verloren zu haben, mehr weh, als die Wucht des Schlages.
Schließlich fiel Archas, niedergestreckt von denen, derer Verbündeter er einst gewesen war. Ich versuchte, ihn zu retten, doch es war zu spät. Natürlich konnte ich die Menschen verstehen, dass sie gegen ihren Feind vorgehen wollten, doch dass sie auch ihn, der ihr Freund gewesen war, einfach so erschlugen, kann ich bis heute nicht nachvollziehen. Ich weiß nicht, ob es eine Rückkehr gibt, wenn man erst von den Puppenspielern verzaubert wurde, doch wir hätten es versuchen können.
Meine Angst galt nun Jurek. Er stand noch, starrte in die Leere, während er wieder und wieder mit seinem Hammer auf die Menschen vor sich einhieb.
Ich wollte nicht auch noch ihn an die Klingen meiner Verbündeten verlieren.
Also ging ich dazwischen. Zusammen mit einigen anderen drängte ich ihn an eine Wand, entwand ihm den Hammer.
Er wehrte sich heftig, doch die Angst verlieh mir Kraft.
Ich versuchte mit aller Macht, zu ihm vorzudringen, doch es reichte nicht. Ich weiß nicht, wie lange ich ihn anschrie, ihn anflehte, zurückzukommen. Er konnte mich nicht hören.
Doch dann trat auf einmal Klarheit in seine Augen. Ich sah ihn an und ich sah wieder meinen Freund, den, der jahrelang an meiner Seite gestanden hatte, der mir Mut gemacht hatte, als alles verloren schien.
„Es tut mir Leid, Madras“, sagte er, „Ich hätte die Hexenkönigin gerne mit dir getötet.“
Dann starb auch Jurek. Und irgendetwas in mir zerbrach.
All die Jahre war ich immer Madras, der Weise, der Besonnene, gewesen, doch nun trat etwas hervor, das wahrscheinlich jahrhundertelang zusammen mit anderen Erinnerungen in einer Kiste tief in meinem Geist verborgen gewesen war.
Wut. Hass. Der Wille, zu vernichten.
Ich sah mich um.
Die Schlacht tobte. Die Menschen hatten den Ansealy kaum etwas entgegen zu setzen.
Ich sah Irashaja. Sie war wieder da. Noch war nicht alles verloren.
Ich drehte mich noch einmal zu Jurek um, beugte mich zu ihm nieder und nahm das legendäre Schwert von seinem Gürtel. Es fühlte sich falsch an. Er hätte es führen sollen.
Doch nun war nur noch ich da. Und ich wollte Rache. Rache für Archas, Rache für Jurek.
Und mit ihren Namen auf den Lippen stürzte ich mich in die Schlacht.
Während um mich herum die Puppen fielen, hatte ich vor allem ein Ziel: Ich wollte die Schankmaid. Sie war schuld am Tod von Jurek und Archas.
Doch die Puppen schützten sie und ich kam nicht an sie heran.
Zusammen mit Irashaja stellte ich mich schließlich den Ansealy entgegen. So beherrschend der Wunsch nach Rache in diesem Moment sein mochte, ich trug die legendäre Waffe und damit eine Verantwortung.
Mit vereinten Kräften und einem sehr mutigen Rokvir, der die Ansealy mit Spottrufen ablenkte, siegten wir schließlich.
Ich war am Ende dessen, was ich hätte ertragen können. Vana war fort, Shaly, Jurek, Archas – Es erschien mir alles hoffnungslos. Und es war meine Schuld. Ich hatte weder Puck noch Salvatore aufhalten können, noch war es mir gelungen, Jurek, Archas und Inara zu beschützen.
Doch Irashaja dachte gar nicht daran, mich in Selbstmitleid zerfließen zu lassen. Obwohl ihr anzusehen war, dass auch sie am Boden zerstört war, fand sie doch die Stärke, die mich in diesem Moment verlassen hatte.
„Halt den Mund, Madras“, sagte sie, „Es gibt hier kein „Ich habe versagt.“ Es gibt überhaupt kein „Ich“ mehr – Es gibt ab jetzt nur noch „Wir“. Hast du das verstanden?“
Und ich verstand.
Während die Verwundeten versorgt wurden, war mein oberstes Ziel, herauszufinden, was geschehen war.
Was ich erfuhr, war niederschmetternd. Inara war tot, ebenfalls erschlagen von ihren eigenen Leuten.
Von den drei Puppenspielern konnten zwei entkommen, einer war tot. Eine der beiden geflohenen Frauen ist die Schankmaid.
Ich werde sie aufspüren und ich werde sie töten für das, was sie Jurek, Archas und Inara angetan hat.
Während wir gekämpft hatten, war die Kerze bis an die Markierung heruntergebrannt.
Obwohl wir erschöpft und abgekämpft waren, machten Irashaja, Rokvir, Frederico und ich uns daran, die Aufgabe zu lösen.
Als wir vor dem Relief standen, wurde uns mit einem Mal schwarz vor Augen und als wir wieder sehen konnten, standen wir in einem dunklen Raum, in dessen Mitte eine Art Labyrinth mit leuchtenden Wänden stand.
An seinem Eingang hing eine Notiz: „Kein freier Geist soll weiter schreiten, als bis hier.“
Wir brauchten nicht lange, um dieses Rätsel zu lösen.
Frederico belegte Irashaja mit einem Zauber, der ihren freien Willen unterdrückte, und führte sie mit Worten durch das Labyrinth.
Kaum stand sie wieder bei uns, waren wir auch schon wieder draußen beim Relief und auf dem Stein leuchtete der Wahre Name der Hexenkönigin.
Wir hatten es also geschafft. Doch nach einem Sieg wollte es sich trotzdem nicht anfühlen.
Ich hatte seit Shalys Tod kaum noch ein Wort mit Salvatore gewechselt. Nun kam er zu uns und erklärte, dass Vana gerettet werden konnte. Dies sei ihr erster Tod gewesen und wie schon bei mir hätte er für einen solchen Fall vorgesorgt.
Wir müssten nur schnell genug einen neuen Körper beschaffen, möglichst schön, dann könnten wir Vana mit Hilfe ihrer Maske zurückholen.
Rokvir erklärte sich bereit, die Suche nach einer schönen Frau anzuführen. Zuerst wollte er nach den Nymphen suchen, die Gerüchten zufolge am See leben, doch schließlich kehrte er mit einer Elfe zurück, die das violette Auge auf der Stirn trug. Sie war wirklich sehr hübsch.
Salvatore setzte ihr die Maske auf und einige Augenblicke lang geschah gar nichts.
Dann zwinkerte die Elfe und aus ihren Augen sah mich Vana an. Eine Schwester hatte ich also doch nicht verloren.
Vana zog sich vorerst zurück, der neue Körper war ihr viel zu dreckig und sie war erschöpft.
Ich beschloss, nach den Menschen zu sehen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die restlichen Reliefs zu lösen. Die Wächterin hatte darum gebeten, damit ihre Aufgabe abgeschlossen sein würde und sie den Ort verlassen könnte.
Auf dem Weg in den Wald stieß ich zunächst auf eine Gruppe von Menschen und mit ihnen zusammen dann auf einen riesigen Untoten. Er schien allerdings nicht bösartig zu sein, vielmehr taumelte er über die Wiese und murmelte ein Wort vor sich hin – nach einiger Zeit erkannten wir es:
„Irashaja.“
Wir suchten also nach Irashaja. Sie trat dem Untoten entgegen. Er überreichte ihr einen Brief, dann fiel er tot um.
Sie laß den Brief. Ich hatte schon auf dem Umschlag Pucks Handschrift erkannt. Irashajas Gesicht wechselte von Unglauben zu Zweifeln und dann zu Hoffnung.
Sie gab mir den Brief zu lesen.
Puck schrieb, dass alles, was geschehen war, zu Salvatores Plan gehörte, und das er schon bald entweder tot oder mit einer großen Überraschung auf dem Weg zu uns sein würde.
Ich wünschte, ich könnte glauben, was er schreibt. Doch ich kann ihm nicht vertrauen. Nicht, solange Salvatore mich weiterhin im Unklaren über seine Pläne lässt und mich tanzen lässt, als wäre ich die Puppe.
Ich zweifle nicht daran, dass Salvatore auf unserer Seite steht, wohl aber daran, dass sein Plan wirklich der Beste für die Rettung Awarnors ist. Ich werde ihn im Auge behalten und ich werde nicht zulassen, dass er noch einmal allein eine Entscheidung trifft wie die, die zum Tod Shalys führte.
Als die Nacht hereinbrach, kamen wir zusammen, um die Toten zu bestatten.
Wir hatten ein großes Feuer entzündet, dessen Funken leuchtend in den dunklen Himmel stoben. Ich versuchte, Worte für das zu finden, was diese Menschen für uns getan hatten, Worte dafür, wie viel sie mir bedeuten, doch nichts von dem, was ich sagte, schien ihnen in meinen Augen in irgendeiner Form gerecht zu werden.
Für manche Dinge gibt es keine Worte und so verbrachten wir die meiste Zeit schweigend und in unsere eigenen Gedanken verstrickt.
Als die Asche schließlich verglühte, machte sich in mir ein Gefühl der Entschlossenheit breit. Diese drei sollen nicht umsonst gestorben sein. Ihre Geschichte soll bis in alle Ewigkeit weiter erzählt werden.
Wir haben den Wahren Namen der Hexenkönigin und bald werden wir auch die restlichen legendären Schwerter haben. Und dann werden wir den Sieg erringen.
Denn wir stehen vereint und wir werden nicht aufgeben, bis die Hexenkönigin, die Ansealy und die Puppenspieler besiegt sind.